Doch die Sünde ist Scharlachrot
ihretwegen?«
»Wen meinst du?«
»Mum. Du konntest nicht surfen und gleichzeitig ein Auge auf sie haben, also hast du mit dem Surfen aufgehört. Das ist der Grund, oder? Ich hab dich gesehen, Dad. Wie lang ist es her? Zwanzig Jahre? Oder länger?«
»Ja. Vor deiner Geburt.«
»Und du ziehst einfach deinen Neoprenanzug an, fährst da raus und nimmst die erstbeste Welle, die anrollt, einfach so? Völlig problemlos? Es war ein Kinderspiel für dich. So einfach wie das Laufen. Oder Atmen.«
»Ja. Meinetwegen. Du hast recht.«
»Und das heißt … Wie lange hast du gesurft, ehe du aufgehört hast?«
Ihr Vater hob das T-Shirt auf und legte es ordentlich zusammen, obwohl es völlig durchfeuchtet war. »Fast mein ganzes Leben«, antwortete er. »Das war es eben, was wir damals gemacht haben. Es gab keine Alternativen. Du weißt doch, wie deine Großeltern leben. Wir hatten den Strand im Sommer und im restlichen Jahr die Schule. Zu Hause wartete immer nur Arbeit auf uns, weil wir ständig dagegen ankämpfen mussten, dass das verdammte Haus in sich zusammenfiel. Aber wenn wir einmal Freizeit hatten, sind wir runter zum Strand … Wir hatten kein Geld, um in Urlaub zu fahren. Es gab noch keine Billigflüge nach Spanien. Es war anders als heute.«
»Aber du hast aufgehört.«
»Ich habe aufgehört. Manchmal verändern sich die Dinge, Kerra.«
»Ja. Sie ist aufgetaucht. Das war die Veränderung. Du hast dich mit ihr eingelassen, und als du erkannt hast, wie sie wirklich war, war es bereits zu spät. Du kamst nicht mehr von ihr los. Du musstest eine Wahl treffen, und du hast sie gewählt.«
»So einfach ist es nicht.« Er ging an ihr vorbei, aus der kleinen Kammer zurück in den größeren Geräteraum. Er wartete, bis sie ihm folgte, und als sie neben ihm stand, schloss und verriegelte er die Tür.
»Wusste Santo davon?«
»Wovon?«
»Hiervon.« Sie wies auf die Tür. »Du warst ziemlich gut, oder? Ich habe genug Surfer gesehen, um das erkennen zu können. Also, warum …« Plötzlich war sie den Tränen näher als je zuvor in den vergangenen schrecklichen dreißig Stunden.
Er blickte sie unverwandt an. Sie sah, dass er unsagbar traurig war, und diese Traurigkeit führte ihr vor Augen, dass sie zwar eine Familie sein mochten – früher zu viert, jetzt nur noch zu dritt –, aber auch nur dem Namen nach. Abgesehen von diesem gemeinsamen Namen, waren sie nichts weiter als ein Hort der Geheimnisse, und das waren sie auch schon immer gewesen.
Sie hatte geglaubt, all diese Geheimnisse hätten mit ihrer Mutter zu tun, mit deren Problemen und Phasen bizarrer Persönlichkeitsveränderung. Es waren Geheimnisse, die auch sie selbst lange gehütet hatte, denn man konnte kaum darüber hinwegsehen, wenn jede Heimkehr von der Schule einen mitten hinein in eine Situation führen konnte, die mitunter gerne als ›ein bisschen peinlich‹ bezeichnet wurde. Kein Wort zu Dad, Liebling! Aber Dad wusste es ohnehin. Sie alle wussten es, aufgrund der Kleidung, die sie trug, der Neigung ihres Kopfes, wenn sie sprach – sie erkannten es am Rhythmus ihrer Sätze, am Trommeln ihrer Finger auf dem Tisch beim Essen und an der Rastlosigkeit in ihrem Blick. Und am Rot. Das Rot verriet sie immer. Für Kerra und Santo war diese Farbe stets die Ankündigung eines längeren Besuchs bei ihren Großeltern gewesen. »Was treibt die Schlampe denn jetzt schon wieder?«, hatte Granddad dann gefragt. Aber ihr Marschbefehl hatte immer gelautet: »Sagt euren Großeltern nichts davon, verstanden?« Und Kerra und Santo hatten sich daran gehalten. Sie waren loyal geblieben, hatten das Geheimnis gehütet, und früher oder später war wieder Normalität eingekehrt, was immer Normalität im Hause Kerne bedeuten mochte.
Doch jetzt erkannte Kerra, dass es immer schon mehr Geheimnisse gegeben hatte als nur die ihrer Mutter. Ein verborgenes Wissen, das über Dellens verschlungene Psyche hinausging und auch Kerras Vater betraf. Und diese erschütternde Erkenntnis führte Kerra einmal mehr vor Augen, dass es in ihrem Leben nie festen Grund gegeben hatte, auf den sie ihren Fuß hätte setzen können, um der Zukunft entgegenzuschreiten.
»Ich war dreizehn«, sagte sie schleppend. »Da war dieser Junge, den ich mochte. Stuart. Er war vierzehn und hatte furchtbare Pickel. Ich hatte ihn trotzdem gern. Die Pickel machten ihn irgendwie … unantastbar, verstehst du? Irgendwie … sicher. Nur war er das leider nicht. Eigentlich ist es komisch, denn ich bin nur mal
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