Doch die Sünde ist Scharlachrot
Herrenhaus im Jahre 1723 erbaut worden war, könne man aber davon ausgehen, dass das Cottage etwa das gleiche Alter hatte.
Das bedeutete allerdings auch, dass nichts an dem Cottage gerade war – insbesondere nicht die Fenster, deren Rahmen für die nicht eben rechtwinkligen Fensteröffnungen handgefertigt worden waren. Lynley erkannte das zu seinem Schrecken erst, als er die Überreste der zerbrochenen Scheibe entfernt hatte und die neue Scheibe in den Rahmen hielt. Die vermeintlichen Horizontalen waren in Wirklichkeit leicht schräg, stellte er fest – gerade schräg genug, um den Einbau zu einer Herausforderung werden zu lassen.
Er hätte an beiden Seiten messen sollen, ging ihm auf. Verlegen stieg ihm eine zarte Röte ins Gesicht.
»Oje«, bemerkte Daidre. Und dann, als fürchtete sie, die Bemerkung könnte einen Mangel an Vertrauen ausdrücken: »Ich nehme an, wir brauchen …«
»Kitt.«
»Wie bitte?«
»Es ist lediglich eine größere Menge Kitt auf der einen Seite erforderlich. Das sollte unser Problem beheben.«
»Oh, wunderbar«, erwiderte sie. »Fabelhaft.« Sie entfernte sich umgehend in Richtung Küche und murmelte vor sich hin, sie würde erst einmal Tee kochen …
Er hatte seine liebe Mühe mit der Aufgabe. Mit dem Kitt, dem Spachtel, der Scheibe, dem Einsetzen ebenjener – und mit dem Regen, der ihm verdammt noch mal hätte sagen sollen, dass er sich vergebens an etwas nahezu Unmöglichem abmühte. Sie blieb in der Küche. Und zwar so lange, dass er zu dem Schluss kam, sie machte sich womöglich nicht nur über seine Unfähigkeit lustig, sondern wäre selbst in der Lage gewesen, das Fenster im Handumdrehen zu reparieren. Immerhin war sie die Frau, die ihn beim Dartspiel in Grund und Boden gestampft hatte.
Als sie endlich wieder zum Vorschein kam, war es ihm tatsächlich gelungen, die Glasscheibe einzusetzen. Allerdings war unübersehbar, dass irgendwer Geschickteres nötig war, um seine Reparatur auszubessern. Er gestand sein Scheitern ein und entschuldigte sich. Er werde nach Pengelly Cove fahren, erklärte er, und, wenn sie ihn begleiten wolle, mit einem Abendessen alles wiedergutmachen.
»Pengelly Cove? Warum gerade dorthin?«, fragte sie.
»In einer Polizeiangelegenheit«, antwortete er.
»Detective Inspector Hannaford glaubt, in Pengelly Cove seien Antworten zu finden? Und sie hat Sie darauf angesetzt? Warum nicht einen ihrer eigenen Beamten?«, wollte Daidre wissen.
Als er mit seiner Antwort zögerte, brauchte sie nur einen Moment, um die richtigen Schlüsse zu ziehen. »Ah«, und sie tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe. »Sie sind nicht mehr verdächtig. Ist das denn klug von ihr?«
»Was?«
»Sie von der Liste der Verdächtigen zu streichen, nur weil Sie Polizist sind? Ziemlich kurzsichtig, oder?«
»Ich glaube, sie hätte Schwierigkeiten, ein Motiv zu finden.«
»Verstehe.« Ihr Tonfall hatte sich verändert, und er wusste, dass sie sich den Rest zusammengereimt hatte: Er selbst mochte nicht länger verdächtig sein, sie – Daidre – hingegen schon. Vermutlich wusste sie, dass es dafür einen Grund gab, und vermutlich auch, welchen.
Er fürchtete schon, sie würde seine Einladung ausschlagen, aber das tat sie nicht, und das freute ihn. Er suchte nach einem Weg, um die Wahrheit über sie zu erfahren und was sie verbarg, und die beste Methode schien ihm zu sein, ihr Vertrauen auf einem gemeinsamen Ausflug zu gewinnen.
Der geeignete Zugang zu ihr, so stellte sich bald heraus, waren Wunder. Sie hatten die Küste verlassen und schlängelten sich durch Stowe Wood auf dem Weg zur A39, als er sie fragte, ob sie denn tatsächlich an Wunder glaube. Zuerst runzelte sie die Stirn über die Frage. Dann fiel es ihr wieder ein: »Ach ja. Die Ausdrucke aus dem Internet, die Sie gesehen haben. Nein, ich glaube nicht daran. Aber ein Freund von mir, ein Kollege im Zoo – der Affenpfleger, um genau zu sein –, plant eine Reise für seine Eltern. Denn sie glauben an Wunder und brauchen gerade dringend eines.«
»Sehr freundlich von Ihnen, dass Sie ihm helfen.« Er sah zu ihr hinüber. Ihr Gesicht hatte sich gerötet. »Ihrem …« Welche Rolle mochte dieser Kollege wohl in ihrem Leben spielen?, überlegte er. Geliebter, Freund, Expartner? Woher kam diese Reaktion?
»Ein Freundschaftsdienst«, sagte sie, als hätte er seine Fragen ausgesprochen. »Bauchspeicheldrüsenkrebs. Es besteht eigentlich keine Hoffnung mehr auf Heilung, dabei ist er noch gar nicht alt –
Weitere Kostenlose Bücher