Doch die Sünde ist Scharlachrot
Alternativen: Ich konnte dabei zusehen, wie Jon uns in den Ruin führte, oder aber ihn damit konfrontieren, was er tat. Ich habe meine Wahl getroffen. Es war nicht angenehm, glauben Sie mir, aber ich sah keine andere Möglichkeit.«
»Er hat Geld unterschlagen.«
Larson hob beschwichtigend eine Hand. »So weit konnte ich nicht gehen. Konnte und wollte nicht, nicht nach dem, was dem armen Kerl passiert war. Aber ich habe ihm mitgeteilt, er müsse mir seine Anteile überlassen, denn nur so konnte ich die Firma retten. Er hätte nie damit aufgehört.«
»Womit aufgehört?«
»Zu versuchen, den Mörder seiner gerechten Strafe zuzuführen.«
»Die Polizei glaubt, es sei ein dummer Streich gewesen, der schiefgegangen ist, kein vorsätzlicher Mord.«
»Gut möglich, aber Jon konnte es so nicht betrachten. Er hat diesen Jungen vergöttert. Er hat all seine Kinder geliebt, aber nach Jamie war er schier verrückt. Er war ein Vater, wie wir alle es gern wären und alle gern einen gehabt hätten, wenn Sie wissen, was ich meine. Sie sind zusammen zum Hochseefischen gefahren, in den Skiurlaub, zum Surfen, mit dem Rucksack durch Asien. Wenn Jon den Namen des Jungen aussprach, leuchteten seine Augen vor Stolz.«
»Ich habe gehört, der Junge war …« Lynley suchte nach dem richtigen Wort. »Ich habe gehört, er war schwierig im Umgang mit den anderen Jugendlichen in Pengelly Cove.«
Larson runzelte die Stirn. Seine Brauen waren dünn, beinah fraulich. Lynley fragte sich, ob er sie in Form zupfte. »Dazu kann ich nichts sagen. Er war eigentlich ein guter Junge. Na ja, vielleicht ein bisschen zu sehr von sich eingenommen, wenn man bedenkt, dass seine Familie vermutlich viel mehr Geld hatte als die der Dorfkinder und dass sein Vater ihn immer so offen vorgezogen hat. Aber welcher Junge in dem Alter wäre nicht von sich eingenommen?«
Larson erzählte weiter, und der Fortgang der Geschichte war traurig, aber, wie Lynley wusste, nicht ungewöhnlich für Familien, die das Trauma erlitten hatten, ein Kind zu verlieren. Nicht lange nachdem Parsons die Firma verloren hatte, ließ seine Frau sich von ihm scheiden. Sie ging zurück an die Universität, holte ihren Abschluss nach und wurde schließlich Direktorin einer Gesamtschule. Larson meinte sich zu erinnern, dass sie irgendwann auch wieder geheiratet habe, aber er war sich dessen nicht hundertprozentig sicher. Aber an der Gesamtschule könne man Lynley bestimmt Näheres sagen.
»Und was ist aus Jonathan Parsons geworden?«, fragte Lynley.
Soweit Larson wusste, war er immer noch in Pengelly Cove.
»Und die Töchter?«, fragte Lynley.
Larson hatte keine Ahnung.
Daidre hatte den Morgen damit zugebracht, über Loyalitäten nachzudenken. Sie wusste, manche Leute glaubten fest an das Prinzip, dass jeder sich selbst der Nächste war. Doch ihr Problem war seit jeher ihre Unfähigkeit gewesen, an diesem Prinzip festzuhalten.
Sie hatte sich gefragt, was sie anderen schuldete und was sie sich selbst schuldete. Sie hatte über Pflichtgefühl nachgedacht und über Rache. Sie hatte überlegt, inwieweit ›jemandem etwas heimzahlen‹ nur ein fragwürdiger Euphemismus für ›nichts dazulernen‹ war. Sie hatte versucht zu entscheiden, ob man wirklich etwas aus seinen Erfahrungen lernen konnte oder ob das Leben nur ein sinnloses Verstreichen der Jahre war, ohne jede Bedeutung.
Letztlich hatte sie sich der Erkenntnis stellen müssen, dass sie auf die großen philosophischen Fragen des Lebens keine Antworten wusste, und beschlossen, das Nächstliegende zu tun: nach Casvelyn zu fahren und Detective Inspector Hannafords Bitte um ein Gespräch zu folgen.
Hannaford holte sie persönlich am Empfang ab. In ihrem Gefolge befand sich die schlecht gekleidete Fahrerin des Mini, die am Abend zuvor auf dem Parkplatz des Salthouse Inn mit Thomas Lynley gesprochen hatte. Hannaford stellte sie als Detective Sergeant Barbara Havers vor. »New Scotland Yard«, fügte sie hinzu, und Daidre verspürte einen eisigen Schauer. Ihr blieb indessen keine Zeit, darüber zu spekulieren, was das bedeuten mochte, denn nach einem andeutungsweise feindseligen »Kommen Sie mit!« von Hannaford wurde sie ins Innere der Polizeiwache geführt. Es war ein kurzer Weg von vielleicht fünfzehn Schritten, der sie in das vermutlich einzige Verhörzimmer der Wache brachte.
Offensichtlich wurden in Casvelyn nicht viele Verhöre durchgeführt. An der Wand stapelten sich Kartons mit Toilettenpapier und Küchenrollen. Auf einem
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