Doch die Sünde ist Scharlachrot
zwar kein mediterranes Klima herrschte, doch boten bestimmte Landstriche immerhin bessere Wetterbedingungen als der Rest des englischen Festlands. Wenn man nur von ausreichend froher Natur war, konnte man das Klima durchaus als mild bezeichnen. Und froher Natur waren die Triglias offenbar. Inzwischen wohnten sie in Boscastle.
Er würde also erneut eine längere Strecke fahren müssen, aber es war ein trockener Tag, und der Frühling war noch nicht weit genug fortgeschritten, als dass bereits jetzt scharenweise Touristen die Straßen verstopften und die Küste in einen einzigen lang gezogenen Parkplatz vor spektakulärer Kulisse verwandelten.
Lynley schaffte die Strecke nach Boscastle in relativ guter Zeit. Er stellte seinen Wagen ab und stieg zu Fuß einen steilen Pfad zu einer Reihe Cottages hinauf, die sich oberhalb des uralten Fischerhafens – einen Meeresarm, umschlossen von hohen Schiefer- und Lavaklippen – über einen Hügel verteilten. Sein Weg führte ihn zunächst über die bescheidene Hauptstraße – ein paar Geschäfte in unverputzten Häusern, die in erster Linie Souvenirs anboten, und einige wenige, die den alltäglichen Bedarf der Dorfbewohner deckten. Dahinter lag die Old Street. Dort wohnten die Triglias, nicht weit von einem Obelisken entfernt, einem Mahnmal für die Toten der beiden Weltkriege. Ihr Haus, das Lark Cottage, war weiß gekalkt und hätte ebenso gut auf Santorin stehen können. Dicke Heidekrautbüschel wuchsen im Vorgarten, und üppige Primeln schmückten die Pflanzkästen an den Fenstern, hinter denen frische weiße Gardinen hingen. Die Haustür war leuchtend grün lackiert. Lynley überquerte eine Schieferbrücke, die einen tiefen Abzugsgraben vor dem Häuschen überspannte, und als er anklopfte, dauerte es nur einen Moment, bis eine Frau öffnete. Sie trug eine Schürze, und ihre Brille war fettbesprenkelt. Das graue Haar war streng nach oben gesteckt.
»Ich backe gerade Krabbenküchlein«, sagte sie, offenbar als Erklärung für ihren Aufzug und ihren gehetzten Ausdruck. »Tut mir leid, aber ich kann sie keine Sekunde aus den Augen lassen.«
»Mrs. Triglia?«, fragte er.
»Ja. Ja. Oh, bitte beeilen Sie sich. Es tut mir leid, wenn ich unhöflich bin, aber sie saugen sich voll Fett, wenn man sie zu lange darin schwimmen lässt.«
»Thomas Lynley. New Scotland Yard.« Er verharrte einen winzigen Moment, als ihm schlagartig aufging, dass dies das erste Mal seit Helens Tod war, dass er sich derart vorgestellt hatte. Er blinzelte ob dieser Erkenntnis und des schmerzhaften Stichs, den sie mit sich brachte. Dann zeigte er der Frau seinen Dienstausweis. »Niamh Triglia? Ehemals Parsons?«
Sie antwortete: »Ja, das bin ich.«
»Ich muss mit Ihnen über Ihren Mann sprechen. Jonathan Parsons. Darf ich hereinkommen?«
»O ja, sicher.« Sie trat von der Tür zurück, um ihn einzulassen. Dann führte sie ihn durch ein Wohnzimmer, das von Bücherregalen voll zerlesener Taschenbücher dominiert wurde – aufgelockert nur durch einige wenige Familienfotos, ein paar Muscheln, interessante Steine oder Treibholzstücke –, in die Küche. Das Küchenfenster öffnete sich zu einem kleinen Garten: ein Stück Rasen, umgeben von ordentlichen Blumenbeeten, mit einem Laubbaum in der Mitte.
Krabbenküchlein herzustellen, brachte offenkundig ein beachtliches Chaos mit sich. Heißes Öl hatte sich in Spritzern auf dem Herd verteilt, Schüsseln und Dosen standen dicht an dicht auf der Spüle, Holzlöffel, ein Eierkarton und eine Kaffeepresse, die keinen Kaffee mehr, dafür aber uralten Kaffeesatz enthielt. Niamh Triglia trat an den Herd und wendete die Küchlein, was eine erneute Ölfontäne auslöste. »Das Schwierigste an der Sache ist, den Teig zu bräunen, ohne so viel Öl zu verbrauchen, dass man hinterher das Gefühl hat, schlecht gemachte Pommes frites zu essen. Kochen Sie, Mr. … Nein, es war Superintendent, oder?«
»Ja«, antwortete er. »Was den Superintendent betrifft. Aber Kochen gehört nicht gerade zu meinen Stärken.«
»Es ist meine Leidenschaft«, gestand sie. »Ich hatte viel zu wenig Zeit dafür, als ich noch im Schuldienst war, aber seit ich in Rente bin, kann ich nicht genug davon bekommen. Kochkurse im Gemeindehaus, Kochsendungen im Fernsehen, solche Sachen. Das Problem ist das Essen.«
»Sie sind unzufrieden mit den Früchten Ihrer Bemühungen?«
»Im Gegenteil, ich bin bei Weitem zu zufrieden.« Sie tätschelte mit beiden Händen ihren Leib, der von der Schürze
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