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Doch die Sünde ist Scharlachrot

Doch die Sünde ist Scharlachrot

Titel: Doch die Sünde ist Scharlachrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Elizabeth
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wackligen Klapptisch stand ein Kassettenrekorder mit einer derart dicken Staubschicht, dass man Gemüse darauf hätte säen können. Es gab keine Stühle, nur eine niedrige Trittleiter, aber es blieb ihnen erspart, die Toilettenpapierkartons als Sitzmöbel hernehmen zu müssen. Mit einem wütenden Ausruf in Richtung Treppe befahl Hannaford Sergeant Collins herbei, der ihnen im Nu ein paar unbequeme Plastikstühle herbeischaffte, Batterien für den Rekorder und eine Kassette – ›Lulu's Greatest Hits‹ von 1970. Nach all den Jahren musste Lulu jetzt auch noch für polizeiliche Zwecke herhalten.
    Daidre hätte gerne gefragt, was es für einen Sinn haben sollte, ihr Gespräch aufzunehmen, aber sie wusste, die Frage hätte man ihr als Arglist ausgelegt. Also setzte sie sich und wartete ab, was als Nächstes passieren würde. Sergeant Havers zog ein eselsohriges Notizbuch aus der Jackentasche. Aus einem Daidre nicht ersichtlichen Grund hatte sie ihre Steppjacke trotz der beinah tropischen Temperatur im Gebäude nicht abgelegt.
    Detective Inspector Hannaford erkundigte sich, ob Daidre irgendetwas wünsche, bevor sie anfingen: Kaffee, Tee, Saft, Wasser? Doch Daidre lehnte ab. Alles in Ordnung, sagte sie, und dann rätselte sie, warum sie es genau so formuliert hatte. Denn nichts war in Ordnung. Sie war unruhig, ihre Hände waren fahrig, aber sie war entschlossen, sich das nicht anmerken zu lassen, und es schien nur einen Weg zu geben, dies zu bewerkstelligen: nämlich sogleich in die Offensive zu gehen.
    »Sie haben mir eine Nachricht hinterlassen«, eröffnete sie selbst die Befragung und kramte Hannafords Karte mit der handschriftlichen Notiz auf der Rückseite hervor. »Worüber wollen Sie mit mir reden?«
    »Ich hätte gedacht, das wäre offensichtlich. Immerhin stecken wir mitten in einer Mordermittlung«, konterte Hannaford.
    »Nun, für mich ist es keineswegs offensichtlich.«
    »Dann werden wir die Dinge rasch klarstellen.« Hannaford war geschickt beim Einlegen der Kassette, aber ihre Miene verriet, dass sie an der Funktionsfähigkeit des Geräts ihre Zweifel hatte. Sie drückte einen Knopf, betrachtete einen Moment die sich drehenden Spulen und nannte Datum, Uhrzeit und Namen der anwesenden Personen. Dann forderte sie Daidre auf: »Erzählen Sie uns von Santo Kerne, Dr. Trahair.«
    »Was soll ich Ihnen denn erzählen?«
    »Was immer Sie wissen.«
    Das war alles Routine, die ersten Züge im Katz-und-Maus-Spiel eines Verhörs. Daidre antwortete so einfach wie möglich: »Ich weiß, dass er bei einem Sturz von der nördlichen Klippe in Polcare Cove ums Leben gekommen ist.«
    Das schien Hannaford nicht zufriedenzustellen. »Wie freundlich von Ihnen, uns daran zu erinnern. Sie wussten, wer er war, als Sie ihn gesehen haben, nicht wahr?« Es war eine Aussage, keine Frage. »Also basierte bereits unsere allererste Interaktion auf einer Lüge. Richtig?«
    Havers schrieb mit einem Bleistift, sah Daidre. Die Spitze rieb leise quietschend über das Papier, und war der Laut auch normalerweise harmlos, hatte er in dieser Situation eine Wirkung auf sie wie Fingernägel, die über eine Schultafel kratzten.
    »Ich hatte ihn nicht richtig ansehen können«, antwortete Daidre zögerlich. »Dafür blieb gar keine Zeit.«
    »Aber Sie haben ihn auf Lebenszeichen untersucht, oder nicht? Sie waren als Erste vor Ort. Wie konnten Sie feststellen, ob er noch lebte, ohne ihn anzusehen?«
    »Man muss nicht in das Gesicht eines Opfers blicken, um es auf Lebenszeichen zu untersuchen, Inspector.«
    »Was für eine drollige Antwort! Wie realistisch ist die Vorstellung, nach Lebenszeichen zu suchen, ohne jemanden anzusehen? Als Erste am Unglücksort, und selbst im schwindenden Tageslicht …«
    »Ich war als Zweite am Unglücksort«, unterbrach Daidre. »Thomas Lynley war der Erste.«
    »Aber Sie wollten die Leiche sehen. Sie haben darauf bestanden. Sie wollten sich nicht auf Superintendent Lynleys Wort verlassen, dass der Junge tot war.«
    »Ich wusste ja nicht, dass er Superintendent Lynley war«, gab Daidre zurück. »Ich kam zu meinem Cottage und fand ihn dort vor. Er hätte auch irgendein Einbrecher sein können. Er war ein Fremder, sah völlig verwahrlost aus – wie Sie selbst gesehen haben –, ein ziemlich wilder Geselle, der behauptete, in der Bucht liege eine Leiche und er müsse sofort irgendwohin gebracht werden, um zu telefonieren. Es schien mir wenig sinnvoll, ihn zum nächsten Telefon zu kutschieren, ohne mich vorher zu

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