Doch die Sünde ist Scharlachrot
aufgetaucht war, musste Selevan seine Pläne überdenken. Er würde nicht derart selbstsüchtig einfach mit Tammy zur schottischen Grenze aufbrechen können, ohne zu wissen, was hier vor sich ging, und vor allem ohne herauszufinden, ob er Jago irgendwie helfen konnte, falls sein Freund denn Hilfe benötigte. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, warum Jago Hilfe brauchen sollte, aber er hielt es für das Beste, abzuwarten und auf weitere Informationen zu harren. Es dauerte nicht allzu lange. Er hatte nicht angenommen, dass Jago zum Salthouse Inn zurückkehren würde, also war er nach Sea Dreams zurückgefahren. Dort war er eine Weile in seinem Caravan auf und ab gestreift, hatte dann und wann ein Schlückchen aus dem Flachmann genommen, den er sich für die lange Fahrt gefüllt hatte, und schließlich war er nach draußen und hinüber zu Jagos Wohnwagen gegangen.
Er trat jedoch nicht ein. Er hatte einen Zweitschlüssel, aber es fühlte sich nicht richtig an, selbst wenn Jago vermutlich nichts dagegen gehabt hätte. Er setzte sich auf die oberste der Metallstufen und wartete.
Etwa zehn Minuten später fuhr Jago vor. Mit knackenden Gelenken kam Selevan auf die Füße. Er stopfte die Hände in die Taschen und stapfte zu seinem Kumpel hinüber. »Alles in Ordnung?«, fragte er, als Jago ausstieg. »Sie haben dir auf der Wache doch keinen Ärger gemacht?«
»Ach was«, antwortete Jago. »Alles, was man bei den Cops braucht, ist ein bisschen gute Vorbereitung. Dann läuft es so, wie du es willst, und nicht, wie sie es wollen. Überrascht sie ein bisschen, aber so ist das Leben. Eine verdammte Überraschung nach der anderen.«
»Da hast du recht«, brummte Selevan zustimmend, aber ein Gefühl von Beunruhigung hatte ihn beschlichen, und er konnte nicht so recht sagen, wieso. Irgendetwas an Jagos Sprechweise und am Tonfall seiner Stimme war anders als früher. Er fragte argwöhnisch: »Sie haben dir doch nichts getan, oder?«
Jago lachte bellend. »Die zwei Schlampen? Wohl kaum. Wir haben uns nur unterhalten, das war alles. Ich habe das schon lange kommen sehen, und jetzt ist es vorbei.«
»Also, was ist los?«
»Gar nichts, Kumpel. Vor langer Zeit ist etwas passiert, aber das ist jetzt abgeschlossen. Meine Arbeit hier ist getan.«
Jago ging an Selevan vorbei und stieg die Stufen zum Wohnwagen hinauf. Er hatte die Tür nicht abgeschlossen, erkannte Selevan, sodass er gar nicht draußen hätte warten müssen. Jago trat ein, und Selevan folgte ihm, blieb jedoch unsicher an der Tür stehen, weil er nicht verstand, was in Teufels Namen hier vorging.
»Bist du rausgeflogen, Jago?«, fragte er.
Jago war in der Schlafkammer am Ende des Caravans verschwunden. Selevan konnte ihn nicht sehen, aber er hörte, wie eine Schranktür geöffnet und irgendetwas von dem Bord über der Kleiderstange heruntergezerrt wurde. Gleich darauf stand Jago wieder in der Tür, eine große Reisetasche in der Hand. »Was?«, fragte er.
»Ich hab gefragt, ob du rausgeflogen bist. Du hast gesagt, deine Arbeit sei getan. Hat er dir gesagt, dass er dich nicht mehr braucht, oder was?«
Jago sah aus, als müsse er über die Frage nachdenken, und das fand Selevan seltsam. Entweder war man gefeuert oder nicht. Darüber musste man doch wohl nicht nachgrübeln. Schließlich malte sich ganz langsam ein Lächeln auf Jagos Gesicht ab, das ihm kein bisschen ähnlich sah. »Genau so ist es, Kumpel«, sagte er dann. »Ich werde nicht mehr gebraucht. Schon lange nicht mehr.« Er schien versonnen, und mehr zu sich selbst sagte er dann: »Mehr als ein Vierteljahrhundert. Es hat lange gedauert.«
»Hä?« Selevan verspürte ein drängendes Bedürfnis, der Sache auf den Grund zu gehen. Der Mann, der ihm hier gegenüberstand, war nicht länger der Jago, mit dem er die vergangenen sechs oder sieben Monate abends in der Kaminecke gesessen hatte. Dem alten Jago gab er ganz entschieden den Vorzug – einem Jago, der die Dinge unumwunden aussprach und nicht in Gleichnissen redete.
»Ist irgendetwas passiert bei diesen Cops, Kumpel?«, fragte er. »Haben die irgendwas …? Du klingst nicht wie du selbst!« Selevan konnte sich bildlich vorstellen, was die Cops getan haben konnten. Sicher, es waren Frauen gewesen, aber Tatsache war eben auch, Jago war ein alter Knacker, genau wie Selevan selbst, und darüber hinaus nicht gerade in allerbester gesundheitlicher Verfassung. Abgesehen davon, gab es auf der Wache garantiert auch männliche Beamte, die ihn sich vielleicht
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