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Doch die Sünde ist Scharlachrot

Doch die Sünde ist Scharlachrot

Titel: Doch die Sünde ist Scharlachrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Elizabeth
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hinauswollte. Von diesem Aussichtspunkt konnte er die Stadt nach Norden hin ansteigen sehen, mit dem alten King-George-Hotel auf der Anhöhe, das nun zu einem Spielplatz für abenteuerlustige Touristen werden sollte; dort waren sie offenbar in der neuen Welt angekommen.
    Die Dinge wandeln sich, dachte Selevan bei sich. Das hatte sich sein ganzes Leben lang bewahrheitet, selbst wenn es ihm manchmal so vorgekommen war, als würden sich die wesentlichen Dinge niemals ändern. Er hatte zur Navy gehen wollen, um einem Leben endloser Eintönigkeit zu entkommen, aber dann hatten sich Details in diesem Leben verändert, was schließlich zu grundlegenderen Veränderungen geführt hatte, die wiederum mitnichten Eintönigkeit aufkommen ließen, wenn man ihnen nur seine volle Aufmerksamkeit schenkte. Die Kinder waren größer, er und seine Frau älter geworden, sie brauchten einen Bullen, um die Kühe zu decken, Kälber kamen zur Welt, der Himmel war an einem Tag blau und voll drohender Wolken am nächsten, David trat in die Army ein, Nan brannte durch, um zu heiraten … Man konnte es gut oder schlecht nennen oder einfach nur das Leben. Und das Leben ging weiter. Man bekam nicht immer das, was man wollte, aber so war es nun einmal. Man mochte toben und mit dieser Tatsache hadern, oder man konnte damit fertig werden. Irgendwann einmal hatte er so ein blödes Plakat in der Bücherei gesehen und sich darüber lustig gemacht: »Wenn das Leben dir Zitronen beschert, mach Limonade daraus!« Wie unglaublich dämlich, hatte er damals gedacht. Aber eigentlich war es das gar nicht, erkannte er jetzt.
    Er atmete tief durch. Hier konnte man das Salz in der Luft schmecken. Besser als in Sea Dreams; dort war man zu weit oben über der Klippe. Aber hier war man dem Meer ganz nah. Es lag nur ein paar Meter entfernt, schlug auf die Riffs und schliff sie unermüdlich ab, angezogen von den Mächten der Natur oder der Physik oder von Magnetismus oder was auch immer. Er wusste es nicht, und es war ihm egal.
    Er leerte seinen Kaffeebecher und zerdrückte ihn in der Hand. Dann trug er ihn zu einem Mülleimer, wo er kurz anhielt, um sich eine Zigarette anzuzünden, die er auf dem Weg zum Surfshop rauchte.
    Tammy stand an der Kasse. Die Schublade vor ihr war offen, und sie zählte die Tageseinnahmen – ganz allein im Geschäft. Sie hatte ihn nicht eintreten hören.
    Er beobachtete sie schweigend. Mit einem Mal erkannte er Dot in ihr, und das war seltsam; die Ähnlichkeit war ihm nie zuvor aufgefallen. Aber jetzt sah er sie nur zu deutlich, an der Art, wie sie den Kopf schräglegte und ein Ohr dabei entblößte. Und die Form dieses Ohrs … die kleine Vertiefung am Ohrläppchen … Auch das war Dot, und er erinnerte sich daran, weil … Oh, das war das Schlimmste, aber er hatte dieses Ohrläppchen ungezählte Male gesehen, wenn er sie bestieg und seinen lieblosen Akt an ihr vollzog, und die arme Frau hatte nie das kleinste bisschen Freude daran haben können, was er heute bedauerte. Er hatte sie nicht geliebt, aber das war nicht ihre Schuld gewesen, auch wenn er ihr die Schuld gegeben hatte, weil sie nicht diejenige war, die sie seiner Meinung nach hätte sein müssen, damit er sie hätte lieben können. Mit einem Mal war in seinem Innern alles ganz zugeschnürt. Er räusperte sich kräftig.
    Tammy hob den Kopf, und als sie ihren Großvater entdeckte, wurde ihre Miene ein wenig argwöhnisch. Es wunderte ihn nicht; es war schließlich nicht immer einfach gewesen mit ihnen beiden. Seit er diesen Brief unter ihrer Matratze gefunden und ihr damit vor der Nase herumgewedelt hatte, hatte sie nur noch in einsilbiger Höflichkeit mit ihm geredet und nur dann, wenn er sie direkt angesprochen hatte.
    »Du solltest nicht allein hier sein«, sagte er.
    »Warum nicht?« Sie legte die Hände links und rechts von der Kassenschublade auf die Theke, und für einen Moment glaubte Selevan, sie fürchtete, er werde sich auf die Tageseinnahmen stürzen und sie vorn in sein Hemd stopfen. Aber dann nahm sie die ganze Schublade heraus und trug sie ins Hinterzimmer, wo neben dem Warenlager und den Putzmitteln ein übergroßer, altmodischer Safe stand. Sie stellte die Geldschublade hinein, schloss die schwere Tür und drehte das Kombinationsschloss. Dann schloss sie die Tür zum Hinterzimmer, verriegelte auch diese und legte den Schlüssel in ein Versteck unter dem Telefon.
    »Du rufst besser deinen Chef an, Kind«, eröffnete Selevan ihr. Er wusste, dass seine Stimme

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