Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doch die Sünde ist Scharlachrot

Doch die Sünde ist Scharlachrot

Titel: Doch die Sünde ist Scharlachrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Elizabeth
Vom Netzwerk:
Dies hier war ein Teil der Welt, in dem man so lange als Fremder galt, bis man sich hier dauerhaft niederließ, und als Zugezogener, bis die Familie über mindestens zwei Generationen hier gelebt hatte. Also ordneten sie ihn als Fremden ein. Doch er war mehr als nur das: Er war ein Fremder in einem weißen Overall mit nichts als Socken an den Füßen. Kein Mantel schützte ihn vor Kälte, Wind und Regen, und wenn das immer noch nicht ausreichte, um ihn als sonderbar zu etikettieren, so hatte überdies seit Menschengedenken niemand außer einer Braut dieses Etablissement von Kopf bis Fuß in Weiß gekleidet betreten.
    Die Decke hing keine dreißig Zentimeter über Lynleys Kopf und war vom Ruß des Feuers und von Zigarettenqualm verschmutzt. Die schwarzen Eichenbalken waren mit Messingplaketten verziert. Die Wände zeigten eine Auswahl alter Landwirtschaftsgeräte, vornehmlich Sensen und Heugabeln, und Steinfliesen bedeckten den Boden. Letztere waren uneben, pockennarbig, geriffelt und verschrammt. Die Schwellen bestanden aus dem gleichen Material und wiesen Vertiefungen auf, wo die Laufspuren der Jahrhunderte sich eingegraben hatten. Die Gaststube selbst war klein und in zwei Bereiche unterteilt, von denen jeder mit einem Kamin ausgestattet war, einer groß, einer klein, und beide Feuerstellen schienen eher dazu zu dienen, die Luft zu verpesten, als den Raum zu heizen. Dafür sorgte die Körperwärme der zahlreichen Gäste.
    Als er früher am Tag zum ersten Mal im Salthouse Inn gewesen war, hatten nur einige wenige Nachmittagstrinker die Bar bevölkert. Inzwischen waren die Abendgäste in Scharen erschienen, und Lynley musste sich durch die Reihen und ihr Schweigen zum Tresen vorkämpfen. Er wusste, es war mehr als nur seine äußere Erscheinung, die ihn interessant machte. Zum Beispiel sein Geruch: seit sieben Wochen von Kopf bis Fuß ungewaschen. Unrasiert und ungeschoren überdies.
    Der Wirt – den Daidre Trahair Brian genannt hatte, wie er sich entsann – erinnerte sich offenbar an seinen früheren Besuch, denn er fragte in die Stille hinein: »War's Santo Kerne da draußen auf den Klippen?«
    »Ich fürchte, ich weiß nicht, um wen es sich handelt. Aber es war ein junger Mann. Ein Teenager. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann.«
    Ein Raunen erhob sich und verebbte wieder. Lynley hörte mehrfach den Namen Santo. Er warf einen Blick über die Schulter. Dutzende Augenpaare – jung, alt und irgendwo dazwischen – waren auf ihn gerichtet.
    Er fragte Brian: »Dieser Junge, Santo, ist er bekannt in der Gegend?«
    »Er lebt hier«, lautete die wenig hilfreiche Antwort. Das war offenbar alles, was Brian einem Fremden zu eröffnen bereit war. »Wollen Sie etwas trinken?«, erkundigte er sich.
    Als Lynley stattdessen um ein Zimmer bat, stellte er fest, dass Brian ausgesprochen zögerlich war, dem Wunsch nachzukommen. Lynley deutete dies – vermutlich zu Recht – als Unwillen, eine heruntergekommene Gestalt wie ihn in Kontakt mit den Laken und Kissen des Hotels kommen zu lassen. Gott allein mochte wissen, welches Ungeziefer er da anschleppte. Doch der Unterhaltungswert, den er als fremdes Gesicht im Salthouse Inn hatte, sprach für ihn. Seine Erscheinung stand in völligem Widerspruch zu seinem Akzent und seiner Wortwahl, und das verlieh ihm eine unwiderstehliche Faszination, ganz zu schweigen von dem Umstand, dass er den Toten gefunden hatte, der vermutlich vor seinem Eintreten das Gesprächsthema der Gäste gewesen war.
    »Nur ein kleines Zimmer«, antwortete der Wirt. »Aber das sind sie alle. Klein. Als das Haus gebaut wurde, waren die Menschen noch nicht so anspruchsvoll.«
    Lynley versicherte, dass die Größe belanglos und er für alles dankbar sei, ganz gleich was das Hotel ihm zu bieten habe. Er wisse nicht, wie lange er das Zimmer benötigen werde, fügte er hinzu. Anscheinend bestehe die Polizei darauf, dass er hierbleibe, bis die Angelegenheit mit dem jungen Mann in der Bucht entschieden sei.
    Wieder erhob sich Gemurmel. Es war das Wort ›entschieden‹ und alles, was es implizierte.
    Brian schob mit der Schuhspitze eine Tür am hinteren Ende des Tresens auf und sprach ein paar Worte in den angrenzenden Raum. Daraufhin kam eine Frau mittleren Alters heraus – die Köchin, nach der fleckigen weißen Schürze zu urteilen, die sie hastig abnahm. Darunter trug sie einen schwarzen Rock und eine weiße Bluse. Und bequeme Schuhe.
    Sie werde ihn nach oben zu seinem Zimmer bringen, sagte sie. Sie

Weitere Kostenlose Bücher