Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
wenn sie ganz ehrlich war, gefiel es ihr meistens sogar. Ältere Männer waren ihr lieber alsdie jungen. Manchmal erzählten sie ihr, dass sie verwitwet wären oder ihre Frau nicht mehr mit ihnen schlafen wollte. Obwohl Belle wusste, dass sie höchstwahrscheinlich logen und nur einen jungen, straffen Körper und unkomplizierten Sex wollten, waren sie alle höflich, nett und dankbar, auch wenn sie es mit der Wahrheit nicht so genau nahmen. Manchmal neigten sie sogar zu zärtlichen Gesten, die Belle rührten – ein paar Tränen oder eine innige Umarmung beim Abschied zum Beispiel oder Blumen und Konfekt – und ihr das Gefühl gaben, etwas Besonderes zu sein und vielleicht sogar geliebt zu werden.
Einige der jungen Männer hingegen konnten ihr das Gefühl geben, beschmutzt zu werden. Sie konnten grob, unangenehm und sehr rücksichtslos sein. Oft benahmen sie sich, als müsste Belle dankbar dafür sein, dass sie sie gewählt hatten, und gelegentlich bekam sie zu hören, dass sie das Geld nicht wert sei. Martha sagte, dass manche Männer sich minderwertig fühlten, weil sie für Sex bezahlen mussten, und sich deshalb so verhielten; Belle sollte es nicht persönlich nehmen. Aber das war gar nicht so leicht.
In weniger als zwei Jahren hatte sie die Wandlung von einem jungen Mädchen, das praktisch nichts über Sex wusste, zu einer Frau durchgemacht, die mehr darüber wusste, als ihr lieb war. Jetzt wusste sie, dass kein männliches Glied wie das andere war; sie hatte riesige gesehen, winzige, gekrümmte und kranke und alles, was es sonst noch gab. Sie hatte gelernt, ihre Innenmuskeln anzuspannen, um die Erregung der Männer zu steigern und sie schneller zum Höhepunkt zu bringen. Sie war inzwischen sogar fähig, ein Glied in den Mund zu nehmen und den Eindruck zu erwecken, es gefiele ihr, auch wenn sie sich am liebsten übergeben würde.
Manche Männer wollten einen richtigen Liebesakt, andere suchten nur schnelle Befriedigung. Manche wollten, dass sie wie eine Dame auftrat, andere, dass sie sich wie eine schamlose Schlampe benahm. Belle hatte gelernt, an der Art ihrer Blicke zu erraten, was sie sich von ihr erwarteten. Sie wechselte so oft von der Rolle derDame in die der Dirne, dass sie manchmal nicht mehr wusste, was ihrem Wesen eher entsprach.
Belle war klar, dass sie nicht mehr dasselbe Mädchen war, das England verlassen hatte. Sie hing keinen romantischen Tagträumen mehr nach, sondern nahm alles, was man ihr sagte, mit Skepsis auf. Sie hatte einen gewissen Zynismus entwickelt, und sie konnte auch hart sein, vor allem zu Männern, die nahe daran waren, einen Blick auf das Mädchen zu erhaschen, das sie einmal gewesen war.
England und die Menschen, die sie liebte, schienen in weiter Ferne zu liegen, wie Gestalten aus einem Traum. Ihr siebzehnter Geburtstag war gekommen und gegangen, und sie hatte immer noch nicht nach Hause geschrieben, weil sie wusste, dass nichts von dem, was sie schreiben könnte, Mog und ihrer Mutter über ihr Verschwinden hinweggeholfen hätte. Sie hielt es für das Beste, wenn die beiden glaubten, sie sei immer noch in New York und habe ein besseres Leben, als sie es bei ihnen je hätte führen können.
Trotzdem konnte sie es nicht lassen, in den Zeitungen Artikel über ihre Heimat zu suchen. Leider stand in den amerikanischen Zeitungen nur etwas über England, wenn es um etwas wirklich Wichtiges ging, wie zum Beispiel um den Tod von König Edward im vergangenen Mai. Darüber wurde ausführlich geschrieben, und es gab viele Bilder von seiner Beerdigung. Belle weinte, als sie ein Foto einer Menschenmenge mit Westminster Abbey und den Parlamentsgebäuden im Hintergrund sah und sich an den Tag erinnerte, als Jimmy ihr diese Orte gezeigt hatte.
Bestimmt war irgendwo in der Menge auch Mog. Obwohl sie Menschenansammlungen nicht mochte, hätte sie nichts davon abgehalten, den Trauerzug zu sehen, und sie hatte König Edward immer für einen guten Kerl gehalten. Manchmal erschienen in der Zeitung auch kurze Beiträge über die Suffragetten, über ihre Zwangsernährung im Gefängnis oder ihre jüngsten Aktionen, und auch das reichte, um Belle zum Weinen zu bringen, denn Mog hatte immer gesagt, dass sie gern den Mut hätte, sich ihnen anzuschließen.
Aber es war die Krönung von George V. im Juni dieses Jahres, die Belle wirklich krank vor Heimweh machte. Es war die Art Geschichte aus England, die die Amerikaner liebten, und in allen Tageszeitungen und Magazinen wurde darüber berichtet.
Weitere Kostenlose Bücher