Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
diejenigen, die vermutlich reich genug waren, um sich eine Mätresse leisten zu können.
Letztlich kamen nur zwei Männer infrage: Faldo Reiss, ein jovialer Texaner, der einen hohen Posten bei der Eisenbahngesellschaft innehatte, und Captain Evan Hunter, dem mehrere Schiffe gehörten. Faldo war in den Fünfzigern und hatte daheim in Houston eine Ehefrau und vier erwachsene Kinder. Evan war ein bisschen jünger, Ende vierzig, schätzte Belle. Eine Frau oder Kinder hatte er nie erwähnt, aber zu Hause war er in Baton Rouge.
Jetzt musste Belle nur noch herausfinden, ob die beiden Männer tatsächlich häufig geschäftlich in New Orleans zu tun hatten, oder ob sie nur hierher zu Martha kamen, um sie zu sehen.
Es war frustrierend, dass Martha die Männer nicht ermutigte, länger als eine halbe Stunde bei den Mädchen im Zimmer zu bleiben. Mit mehreren Kunden hintereinander konnte sie mehr Geld machen als mit einem, der ein paar Stunden oder womöglich die ganze Nacht blieb. Eine halbe Stunde war lang genug für Sex, aber zum Reden blieb nicht viel Zeit. Natürlich waren sie im Salon zusammen, aber Martha und die anderen Mädchen spitzten ständig die Ohren, deshalb konnte Belle kaum auf vertrauliche Gespräche hoffen.
An einem Freitagabend Ende Juli prasselten so heftige Regenschauer herunter, dass die Wassermassen nicht schnell genug durch die Gullys abflossen und die Basin Street sich in einen Fluss verwandelte. Die Mädchen redeten von Hurrikanen, aber darüber sprachen sie ständig – wie beängstigend sie seien und dass Dächer von Häusern gerissen und Bäume entwurzelt würden. Martha warauch der Meinung, dass es ein Hurrikan sein könnte, fand aber, dass die Mädchen übertrieben, und sagte, in all den Jahren in New Orleans hätte sie nur einmal erlebt, dass ein Dach vom Haus flog.
Unwetter wie dieses hatte Belle in England oft erlebt, aber dort hatte es dann immer stark abgekühlt. Hier war der Regen wie eine warme Dusche, und es überraschte sie nicht, dass immer noch Leute auf den Straßen waren, auch wenn sie klitschnass wurden.
Aber der Regen hielt Besucher fern. Gegen neun Uhr abends waren erst zwei Gentlemen da, der Professor klimperte lustlos auf dem Klavier, und die Mädchen langweilten sich so sehr, dass sie einander angifteten.
Anna-Maria, die, wie Belle schon vor mindestens einem Jahr festgestellt hatte, extrem gehässig sein konnte, fragte Suzanne, warum sie ein grünes Kleid trug, in dem sie furchtbar farblos aussah. Das stimmte nicht – Suzanne hatte schimmerndes kupferrotes Haar, und Grün stand ihr ausgesprochen gut.
»Ich wollte nicht unfreundlich sein«, bemerkte Anna-Maria mit einem einfältigen Lächeln. »Ich dachte nur, jemand sollte es dir sagen.«
»Und jemand sollte dir sagen, dass du ein verlogenes Miststück bist«, gab Suzanne zurück, während sie aufstand und die andere drohend anstarrte. »Du bist ja bloß eifersüchtig, weil der reiche Bankier gestern nach mir gefragt hat.«
»Das macht er bestimmt nicht noch mal, weil er jetzt weiß, wie schmutzig du bist«, keifte Anna-Maria und sprang auf. »Ich weiß, dass du dich zwischen den Kunden nie wäschst. Du stinkst wie ein Iltis!«
Suzanne ging mit ihren langen Fingernägeln auf das andere Mädchen los. Belle mochte Anna-Maria nicht besonders und fand, dass sie für ihre gemeinen Bemerkungen ein zerkratztes Gesicht verdient hatte, aber wahrscheinlich würde Martha derjenigen, die zuerst handgreiflich geworden war, die Schuld geben. Also sprang Belle ebenfalls auf und stellte sich vor Anna-Maria.
»Das reicht«, sagte sie mit der festen Stimme, die sie von Mogkannte. »Anna-Maria, entschuldige dich gefälligst bei Suzanne! Es war sehr hässlich von dir, so etwas zu sagen, und es ist auch nicht wahr.«
Jetzt mischten sich auch Hatty, Polly und Betty ein. Betty fand, dass Anna-Maria eine gehörige Abreibung verdient hätte, weil sie immer Unfrieden stiftete.
»Pass auf, dass ich dir nicht auch eine verpasse!«, schrie Anna-Maria Betty an und versuchte sich an Belle vorbeizudrängen. »Du bist doch bloß eifersüchtig auf mich!«
Der Professor fing an, lauter zu spielen. In diesem Moment ging die Tür auf, und Martha stand zornbebend vor ihnen.
»Was hat das zu bedeuten?«, sagte sie und musterte die Mädchen der Reihe nach scharf.
Keine von ihnen antwortete. Es galt als ungeschriebenes Gesetz, nicht zu petzen.
»Ich nehme an, das warst du, Belle?«, sagte Martha scharf. »Wie ich sehe, hast du versucht,
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