Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
gelitten, als man mich entführt und zur Prostitution gezwungen hat? Wenn Ihnen so etwas passiert wäre, hätten Sie dann nicht auch mit allen Mitteln versucht, sich aus dieser Lage zu befreien?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie keine andere Wahl hatten. Ich halte es viel eher für wahrscheinlich, dass Sie auf Abwege geraten sind und sich diese absurde Geschichte ausgedacht haben, um sich als Opfer darzustellen«, entgegnete Miss Frank, die starr vor Entrüstung war. »Ich weiß nicht einmal, ob ich glauben soll, dass der Mann, der Sie ausgehalten hat, eines natürlichen Todes gestorben ist. Man sieht doch an Ihrer geschwollenen Wange, dass es eine Auseinandersetzung gegeben hat! Und außerdem, können Sie sich vorstellen, welche Auswirkungen es auf mein Geschäft hätte, wenn meine Kundinnen wüssten, was Sie sind? Sie würden den Laden nicht einmal mehr betreten, geschweige denn einen Hut anprobieren, der durch Ihre Hände gegangen ist.«
Belle fühlte sich, als hätte sie einen Tritt in die Magengrube bekommen. Nicht einen Moment lang hatte sie daran gedacht, dass man ihr keinen Glauben schenken würde. Und schon gar nicht hatte sie erwartet, dass eine Hure in Miss Franks Augen so gefährlich wie ein Leprakranker war.
»Bei mir würden sich die Damen keine Krankheit holen«, gab sie zurück. »Aber vielleicht bei ihren Ehemännern. Sie können nämlich darauf wetten, dass die meisten von ihnen regelmäßig in den Bezirk gehen.«
Miss Frank schnappte nach Luft. »Wie können Sie etwas so Bösartiges und Schändliches sagen?«
Auf einmal erkannte Belle, wie dumm es von ihr gewesen war zu glauben, diese altjüngferliche Dame könnte Verständnis und Mitgefühl für das, was sie durchgemacht hatte, aufbringen. DieGesellschaftsschicht, aus der sie kam, war engstirnig und prüde, die meisten Frauen waren nicht einmal mit ihrem eigenen Körper wirklich vertraut. Selbst wenn Belle lediglich gestanden hätte, von einem Mann geküsst worden zu sein, hätte Miss Frank wahrscheinlich nach ihrem Riechsalz gegriffen.
Aber Belle hatte nicht vor, sich für etwas zu entschuldigen, an dem sie keine Schuld trug. Auch auf Tränen wollte sie nicht zurückgreifen. Und sie würde nicht zulassen, dass sich diese dumme Person hinter ihren lächerlichen, prüden Ansichten verschanzte.
»Weil es die reine Wahrheit ist«, sagte Belle eigensinnig. »Warum werden Prostituierte immer auf die unterste Stufe gestellt? Ohne Männer gäbe es keine Prostitution. Und ich kann Ihnen aus erster Hand versichern, dass es unweigerlich die sogenannten braven Ehemänner sind, die zu uns kommen. Wenn ihre Frauen ihre ehelichen Pflichten wahrnähmen, hätten sie das nicht nötig. Ihre empörten Kundinnen sollten also lieber in den Spiegel schauen, bevor sie mit dem Finger auf mich zeigen.«
»Ich habe noch nie etwas so Schockierendes gehört!«, keuchte Miss Frank, deren Gesicht feuerrot angelaufen war.
»Schockierend? Ich werde Ihnen sagen, was schockierend ist«, sagte Belle zornig. »Dass Sie mich hier Tag für Tag haben arbeiten lassen und so getan haben, als hätten Sie mich gern. Aber kaum sage ich Ihnen die Wahrheit über mich, stellen Sie sich gegen mich. Ich habe Sie für eine gütige Frau gehalten und wirklich geglaubt, Sie würden mir helfen.«
»Verlassen Sie augenblicklich mein Geschäft!« Miss Franks Stimme war kalt und schrill. »Verschwinden Sie, Sie kleines Flittchen!«
Belle wusste, dass sie verloren hatte. Nichts von dem, was sie sagte, würde die Vorurteile dieser Frau umstoßen.
»Na schön, ich gehe«, sagte sie, lief zur Werkbank und schnappte sich einen kleinen Stapel ihrer Entwürfe. »Aber die hier können Sie leider nicht behalten. Außerdem werde ich nachher zu Angélique’s gehen und die Schwestern darüber informieren, dass ihre letzteBestellung von einer Hure entworfen und angefertigt worden ist. Sollten die beiden Ihnen ähnlich sein, schicken sie wahrscheinlich die gesamte Lieferung zurück!«
Sie sah, wie sich Miss Franks schmales Gesicht verzog, und wollte schon sagen, dass sie es nicht so gemeint hatte. Aber sie war zu verletzt, um einen Rückzieher zu machen; sie hatte wirklich geglaubt, dass die Zuneigung, die sie für diese Frau empfunden hatte, auf Gegenseitigkeit beruhte.
»Ich bin erst siebzehn. Seit ich vor anderthalb Jahren entführt wurde, bin ich durch die Hölle gegangen. Jetzt bin ich über viertausend Meilen von daheim entfernt und habe keine Ahnung, wie ich zurückkommen soll«,
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