Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
stieß sie hervor und schwenkte die Zeichnungen, die sie in der Hand hielt. »Das bisschen Sicherheit, das ich hatte, ist gestern mit Mr. Reiss gestorben, aber ich glaubte, ich hätte eine echte Freundin, die mir unvoreingenommen zuhören und mich beraten würde. Wie konnte ich nur so dumm sein!«
Es bereitete ihr ein wenig Genugtuung, als sie sah, dass die Frau vor Scham errötete, aber sie wandte sich trotzdem ab und verließ den Laden.
Fast blind vor Tränen ging Belle nach Hause zurück. Ihr blieb nichts anderes übrig, als New Orleans zu verlassen. Sie glaubte nicht, dass Miss Frank eine derart pikante Geschichte für sich behalten würde. Nicht lange, und Martha würde davon hören, und dann ginge es Belle an den Kragen.
Dann war da noch die Polizei. Bestimmt kamen die Beamten wieder und stellten ihr noch mehr Fragen, vor allem, wenn bei Faldos Autopsie etwas Ungewöhnliches festgestellt wurde. Wenn die Polizei von Belles Vergangenheit Wind bekam, würde man sie womöglich sogar für seinen Tod verantwortlich machen. Aber noch beunruhigender war der Gedanke, dass die Leute, die Belle gekauft und verkauft hatten, sie jetzt vielleicht für immer zum Schweigen bringen wollten.
Sie hatte furchtbare Angst. Wenn sie zum Bahnhof ging, wurdesie vielleicht von einem von Marthas Spionen entdeckt und ans Messer geliefert. Ein Schiff war vermutlich die beste Lösung, aber sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sie das bewerkstelligen sollte.
Als sie ihren Koffer packte, sagte sie sich, dass sie immer gewusst hatte, dass dieser Tag einmal kommen würde. Sie hatte den Koffer genau für diesen Fall gekauft. Trotzdem musste sie weinen, denn sie hätte sich nie träumen lassen, in eine derartige Situation zu geraten. Sie hatte die Einrichtung ihres Hauses mit großer Sorgfalt ausgewählt, und es tat weh, all das zurückzulassen. Den blauen, mit goldenen Putten bemalten Fächer, den sie über ihr Bett gehängt hatte, konnte sie mitnehmen, weil er sich zusammenklappen ließ, aber das Bild, auf dem ein exotischer Strand zu sehen war, war zu groß. Wie oft hatte sie es betrachtet und sich dabei vorgestellt, an genau so einem Strand mit wogenden Palmen, weißem Sand und türkisblauem Meer in einer kleinen Strohhütte zu wohnen, am liebsten mit einem Mann wie Etienne, der sich um sie kümmerte. Aber das Bild und der schöne rote Teppich im Wohnzimmer und all die anderen hübschen Dinge, die sie gekauft hatte, mussten hier bleiben.
Sie hatte mehr Kleidung als bei ihrem Einzug, vier Kleider, diverse Unterröcke, Hemden, Strümpfe, Unterhosen und Schuhe, aber sie besaß keinen warmen Mantel mehr, weil der alte Pelzmantel, den sie in Frankreich bekommen hatte, auf dem Schiff geblieben war, als sie in New Orleans eintraf. Hier mochte das Wetter noch milde sein, aber sie wusste, dass es immer kälter werden würde, je näher sie Richtung New York kam.
Eine Stunde später war Belle in der Canal Street. Schon jetzt tat ihr der Arm weh, obwohl sie den schweren Koffer erst ein kurzes Stück getragen hatte. Die Hausschlüssel hatte sie beim Gehen einfach durch den Briefschlitz geworfen. Sicher würde der Vermieter kommen, wenn er von Faldos Tod verständigt worden war.
Sie hielt eine Droschke an und bat den Kutscher, sie zu Aldersons zu fahren, zu warten, bis sie ihre Einkäufe erledigt hatte, und sie dann zum Hafen zu bringen.
Belle hatte fast ein schlechtes Gewissen, als sie den teuren grauen Mantel mit Kragen und Manschetten aus schwarzem Lammfell, einen passenden Hut aus schwarzem Lammfell und ein dunkelblaues Wollkleid auf Mr. Reiss’ Rechnung setzen ließ. Aber sie rief sich in Erinnerung, dass sie bisher immer darauf geachtet hatte, nicht zu viel von seinem Geld auszugeben. Und für den Hieb auf ihre Wange und sein brutales Benehmen am Tag seines Todes war er ihr ohnehin noch etwas schuldig.
Am Nachmittag war Belle den Tränen nah, als es ihr nicht gelang, eine Passage auf einem Schiff zu buchen. Von den Reedereiangestellten hatte sie erfahren, dass die meisten Schiffe Frachter waren, die keine Fahrgäste an Bord nahmen, und um eine Überfahrt auf einem der wenigen Passagierschiffe zu buchen, hätte Belle zunächst ihre Dokumente vorweisen müssen.
Der Hafen von New Orleans war ein stinkender, lauter, glühend heißer Hexenkessel. Kräftige Männer be- und entluden schwitzend Schiffe und brüllten einander an, während sie mit Seilzügen gewaltige Holzkisten absenkten oder hochzogen. Andere rollten Fässer über Gangways
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