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Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)

Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)

Titel: Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Pearse
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und schoben sie über die Pflastersteine zu den wartenden Rollwagen.
    Überladene Karren und Fuhrwerke, die von müden, alten Gäulen gezogen wurden, rumpelten durch die Menschenmassen. Sogar Rinder, Pferde und Ziegen wurden von den Schiffen getrieben, und ein paar Stiere, die in Panik geraten waren, rasten durch die Menge und scheuchten Seeleute, Schauermänner und anderes Hafenvolk auf. Belle wurde ununterbrochen angerempelt, begafft und von Bettlern belästigt, und eine junge Schwarze in Lumpen hatte sogar versucht, ihr den Hut vom Kopf zu reißen.
    Sie war verschwitzt, müde und sehr verängstigt. Sie hatte unzählige Male gehört, wie gefährlich New Orleans war, aber erst heute am Hafen sah sie es mit eigenen Augen. Ganze Scharen verdreckter, halbnackter Kinder, die nicht älter als fünf oder sechs waren, trieben sich herum und hielten nach Leuten Ausschau, die sie bestehlen konnten. Erbärmliche Exemplare von Prostituierten mit entblößten Brüsten sprachen ungeniert Männer an. Es gab unzählige Betrunkene und andere, deren ausgezehrte, gelbe Gesichter darauf hinwiesen, dass sie opiumsüchtig waren. Belle hatte alle möglichen Sprachen gehört und Menschen aller möglichen Nationalitäten, von Chinesen bis Indianern, gesehen. Zwar war Belle vom ersten Tag an aufgefallen, dass in New Orleans Menschen aller Hautfarben und Konfessionen lebten, aber bis zum heutigen Tag hatte sie denjenigen, die zu den Ärmsten und Verkommensten gehörten, noch nie Auge in Auge gegenübergestanden.
    Sie hatte ihre Barschaft vorsichtshalber in einer Börse am Innenbund ihres Rocks befestigt, bevor sie das Haus verließ, aber bald wurde ihr klar, dass alles an ihr   – Kleider, Schuhe, ihr Koffer   – begehrte Beutestücke für Diebe waren. Sie traute sich nicht, auch nur eine Sekunde in ihrer Wachsamkeit nachzulassen. Je später es wurde, desto nervöser wurde sie, denn wenn sie vor Einbruch der Nacht immer noch kein Schiff gefunden hatte, würde sie sich irgendwo ein Quartier suchen müssen, und die Art Bett, die in dieser Gegend zu erwarten war, konnte nur grauenhaft sein.
    »He, Miss, die Kentucky Maid läuft heute Abend nach Frankreich aus.«
    Belle war überrascht, als ein Junge sie ansprach. Er erinnerte sie schmerzlich an Jimmy, denn er hatte dasselbe rote Haar und ein sommersprossiges Gesicht.
    »Wo? Nimmt sie Passagiere mit?«, fragte sie.
    Der Junge zeigte den Kai hinunter. »Ein Passagierschiff ist es eigentlich nicht«, meinte er. »Aber ich kenne den Skipper, und ich schätze, er nimmt Sie mit.«
    »Wer bist du?«, fragte sie barsch. Sie hatte den Jungen noch nie gesehen, und es war eigenartig, dass er wusste, was sie suchte.
    »Ich bin Abel Gustang. Ich mache alle möglichen Gelegenheitsarbeiten hier im Hafen. Ich habe gehört, wie Sie mit den Schiffsagenten gesprochen haben, und mir gedacht, dass Sie unbedingt von hier weg wollen. Sind Sie auf der Flucht?«
    »Natürlich nicht«, sagte sie, musste aber fast lachen, denn seine frappierende Ähnlichkeit mit Jimmy flößte ihr Vertrauen ein. Er war sehr dünn und ging barfuß, und seine zerlumpten Hosen waren auf Wadenhöhe abgeschnitten. Belle schätzte ihn auf ungefähr zwölf. »Aber ich bin ohne Papiere nach Amerika gekommen, und jetzt will ich wieder nach Hause«, erklärte sie.
    »Sind Sie eine Hure? Die haben meistens keine Papiere«, sagte er.
    »Nein, bin ich nicht«, gab sie zurück, war sich aber nicht sicher, ob sie entrüstet genug klang.
    »Tja, aber ich denke mal, dass Sie wegen einem Mann in New Orleans gelandet sind.« Er blinzelte, weil ihm die Sonne in die Augen schien. »So was passiert hübschen Mädchen immer.«
    Belle lächelte. »Du erinnerst mich an jemand von daheim. Aber ich bin erfahrener, als ich aussehe, denk also nicht mal im Traum dran, mich übers Ohr zu hauen. Wenn du mir hilfst, bekommst du eine Belohnung.«
    »Zehn Dollar?«, fragte er.
    »Geht in Ordnung, solange das Schiff seetüchtig ist und ich nicht im Laderaum oder mit dem Skipper schlafen muss.«
    Abel grinste und ließ dabei einige Zahnlücken sehen. »Das wird er schon wollen, aber er kann auch ein echter Gentleman sein. Ich hab schon für ihn gearbeitet, er ist in Ordnung.«
    Die Kentucky Maid war ein relativ großer Dampfer, aber Belle sank der Mut, als sie genauer hinsah. Das Schiff sah rostig und vernachlässigt aus, und sie bezweifelte, dass ein Frachter den Komfort bieten würde, den sie auf dem Passagierschiff genossen hatte, mit dem sie in New Orleans

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