Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
ein Stück zurück. Der Himmel erhellte sich gerade, sie schätzte, dass es gegen halb acht war, aber es gab nichts zu sehen, nur die Häuserzeile gegenüber, wo alles ziemlich genauso aussah wie auf ihrer Straßenseite.
Sie hatte gut geschlafen. Das Bett war überraschend bequem, die Überzüge dufteten nach Lavendel, und die Daunenkissen und -decken waren angenehm warm. Sie zog ihren Mantel über das Hemd, in dem sie geschlafen hatte, griff nach dem dünnen Handtuch, das zusammengefaltet auf dem Stuhl lag, und machte sich auf die Suche nach dem Badezimmer.
Das Bad war sehr sauber und sehr kalt, und auch das Wasser war kalt. Trotzdem zog Belle ihr Hemd aus, wusch sich gründlich von oben bis unten und wünschte, sie hätte eine Zahnbürste, weil sie einen scheußlichen Geschmack im Mund hatte.
Eine Viertelstunde später ging Belle nach unten in den Speisesaal. Zu ihrer Überraschung entpuppte er sich als unerwartet warmer und gemütlicher Raum mit leuchtend gelb gestrichenen Wänden. Die Decken auf den sechs Tischen waren blau kariert, und im Ofen brannte ein munteres Feuer. Belle wählte einen leeren Tisch, der dem Ofen am nächsten war, und zog ihren Mantel eng um sich, damit ihr Abendkleid nicht zu sehen war. Außer ihr waren nochzwei Paare anwesend und ein Mann, der Zeitung las. Er blickte auf und lächelte Belle an.
Kurz nachdem Belle Platz genommen hatte, brachte ihr die Frau vom Vorabend auf einem Tablett das Frühstück: eine Kanne Kaffee, ein Krug Milch, ein Korb mit Croissants, Butter und Marmelade. Die Frau war nicht so alt, wie Belle ursprünglich angenommen hatte, wahrscheinlich erst in den Dreißigern, aber anscheinend gab sie sich überhaupt keine Mühe mit ihrem Äußeren. Ihr abgetragenes schwarzes Kleid hing lose an ihr herunter, und ihr Haar war so straff aus dem Gesicht gekämmt, dass es aussah, als hätte sie ihren Kopf mit mattbrauner Farbe angemalt. Um ihren Hals hatte sie einen schwarzweiß karierten Schal geschlungen, was ziemlich seltsam aussah, fast als wollte sie darunter etwas verbergen. Am Vorabend hatte sie auch einen Schal getragen, aber der war schwarz und weniger auffällig gewesen.
Nichts an der Frau deutete darauf hin, dass sie und Belle etwas gemeinsam haben könnten, aber Belle wollte sich trotzdem mit ihr anfreunden, sei es auch nur, um zu erfahren, wer die Bilder in der Halle gemalt hatte.
Als die Frau das Frühstück auf den Tisch stellte, lächelte Belle sie an. »Wie ist Ihr Name?«, fragte sie.
Die Frau verzog den Mund zur Andeutung eines Lächelns. »Gabrielle Herrison«, antwortete sie.
»Ich heiße Belle Cooper«, sagte Belle. »Können Sie mir nachher vielleicht sagen, wo man gebrauchte Kleidung kaufen kann?«
Gabrielles Miene wurde eine Spur milder. »Ich suche kleinen Stadtplan für Sie«, sagte sie. »Guter Laden, nicht weit von hier.«
Belle betrat Madame Chantals kleinen Laden mit gemischten Gefühlen. Madame Herrison machte nicht den Eindruck einer Frau, die etwas von Mode verstand, deshalb erwartete Belle ein Geschäft, wie sie es von Seven Dials kannte. Dort roch es nach Moder, altem Schweiß und Schlimmerem, und die Kleidung, die sich in unordentlichen Haufen auf dem Boden türmte, war meistens so abgetragen, dass nur jemand, der wirklich verzweifelt war, sie kaufen würde. Aber zu Belles Überraschung waren die Sachen in diesem Geschäft ordentlich aufgehängt, und das Einzige, was sie roch, war der Duft von frischem Kaffee.
Eine zierliche Frau mit ergrautem Haar, die ein schwarzes Kleid mit Nerzkragen und -manschetten trug, kam auf sie zu und begrüßte sie auf Französisch. Wahrscheinlich wollte sie wissen, ob sie ihr behilflich sein konnte, dachte Belle. Sie fragte, ob die Frau Englisch verstand, aber die Antwort war ein Kopfschütteln. Belle zog ihren Mantel aus, um ihr das Abendkleid aus schwarzer Spitze zu zeigen, und erklärte der Frau mit Händen und Füßen, dass jemand mit ihrem Koffer auf und davon war. Zu ihrer Überraschung schien sie sich verständlich zu machen, denn die Frau nickte und zeigte auf einen Ständer mit einfachen Tageskleidern.
Belle begutachtete die Sachen. Es waren alles gute, schlichte Kleider, aber wenn sie sich reiche Männer angeln wollte, brauchte ihre Garderobe ein bisschen mehr Chic.
Anscheinend fiel der Besitzerin ihr Mangel an Enthusiasmus auf, denn sie sagte etwas, das Belle nicht verstand, und zeigte ihr ein zweiteiliges Kostüm.
Es war hellblau mit dunkelblauer Stickerei auf der figurbetonten Jacke und
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