Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
fürDurchschnittsbürger gedacht waren: funkelnde Brillantkolliers und Ringe mit so riesigen Saphiren, Smaragden und Rubinen, dass ihr der Atem stockte.
Das Ritz hob sich kaum von seiner Umgebung ab, tatsächlich musste Belle zweimal hinsehen, ehe sie den diskreten goldenen Namenszug über der Tür entdeckte. Sie erinnerte sich, wie Mog ihr einmal erzählt hatte, dass die besten Hotels in London diejenigen waren, die zurückhaltende Würde ausstrahlten. Auf das Ritz traf das ganz sicher zu, und sie hoffte, dass aufgrund seiner dezenten Eleganz und seiner hohen Preise nur wenige andere Mädchen die Nerven hatten, sich dort hineinzuwagen. Ob ihr Plan klug war, wusste sie nicht, aber Martha hatte ihren Mädchen immer empfohlen, ihre Ziele hochzustecken.
Als Belle ins Mirabeau zurückkehrte, um sich umzuziehen, war sie todmüde, weil sie mit dem Stadtplan in der Hand meilenweit durch Paris gelaufen war. Sie wusste, dass sie demnächst lernen musste, sich in der Metro zurechtzufinden – schließlich benutzten in London auch die meisten Leute ständig die U-Bahn, und hier würde das nicht viel anders sein. Aber sie war nur ein einziges Mal mit ihrer Mutter U-Bahn gefahren und hatte es sehr verwirrend gefunden.
Aber zu Fuß zu gehen, hatte auch sein Gutes. Sie hatte den Triumphbogen gesehen und einen Blick auf den Eiffelturm erhascht, über den sie in der Schule gelernt hatte, dass er das höchste Gebäude der Welt sei. Außerdem war sie in Gegenden geraten, die genauso verkommen und beängstigend wirkten wie ihre Gegenstücke in London. Belle nahm sich vor, die ganze Stadt Stück für Stück zu erkunden und lieben zu lernen. Sie würde in Hutsalons gehen und die Modelle eingehend betrachten, um neue Anregungen zu bekommen, und sämtliche Facetten der französischen Mode studieren. Aber vorher musste sie den Sprung ins kalte Wasser wagen und heute Abend ins Ritz gehen.
Belles Nerven ließen sie beinahe im Stich, als sie um halb acht noch einmal zur Place Vendôme ging. Sie wusste, dass sie in dem roten Kostüm und mit den hochgesteckten Haaren gut aussah, aber die enorme Tragweite dessen, was sie vorhatte, und die Möglichkeit, aus dem Ritz geworfen zu werden, ließen ihr die Knie zittern.
Schon am Tag hatte sie die Place Vendôme einschüchternd genug gefunden, aber jetzt, bei Gaslicht, als Dutzende Privatkutschen, von denen einige sogar Wappen auf den Türschlägen hatten, und vereinzelte schnittige Automobile auf dem Platz zu sehen waren, fühlte sie sich wie erschlagen. Allein das Licht, das von dem funkelnden Kristallkandelaber im Foyer des Hotels durch das Glas der schimmernden Holztüren nach draußen fiel, oder das prachtvolle Blumenarrangement, auf das sie im Vorbeigehen einen Blick erhaschte, zeugten von prominenten Gästen, vielleicht sogar aus dem Hochadel.
Belle holte tief Luft, warf den Kopf zurück und marschierte zielstrebig auf die Tür zu. Sie hatte schreckliche Angst, aber einen Rückzieher würde sie jetzt nicht machen. Reiche Männer wollten immer Frauen.
» Bonsoir, Mademoiselle «, begrüßte sie der livrierte Türsteher lächelnd, als er ihr die Tür aufhielt.
Sie versuchte so zu tun, als wäre diese Umgebung für sie etwas ganz Alltägliches, obwohl sich vor ihr ein langer, breiter Korridor mit weißem Marmorboden erstreckte, auf dem der dickste und üppigste kobaltblaue Teppich lag, den sie je gesehen hatte. Der Gang war mit Marmorstatuen und weiteren spektakulären Blumenarrangements und glitzernden Kristalllüstern ausgestattet, und sämtliche Holztüren waren auf Hochglanz poliert. So muss es zu Zeiten Ludwigs XIV im Schloss von Versailles ausgesehen habe, dachte sie.
Zum Glück waren Dutzende Leute unterwegs, was Belle ein bisschen weniger nervös machte. Einige meldeten sich an der Rezeption an, andere gingen oder kamen vom Abendessen. Die Frauen waren alle sehr elegant gekleidet und großzügig mit Juwelen behängt, und viele trugen Pelzmäntel, deren Wert Belle auf etlichehundert Pfund schätzte. Sie sah Träger mit Handwagen, auf denen sich Lederkoffer türmten, was sie schmerzlich an ihren kleinen Pappkoffer erinnerte, den sie in Marseille zurückgelassen hatte. Die Atmosphäre von Reichtum und Luxus machte sie benommen, und sie empfand tiefen Neid auf die Menschen, die so leben konnten und nichts anderes kannten. Aber als sie die Frauen objektiv betrachtete, stellte sie fest, dass keine von ihnen schön war und einige sogar sehr unscheinbar wirkten.
Zwei Männer in mittleren
Weitere Kostenlose Bücher