Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
Voraus geplant hatte. Vielleicht führte Madame Albertine ein Bordell und war entzückt, dass Arnaud ihr frische Ware brachte. Jetzt begriff Belle, warum sie sich in Arnauds Haus so unwohl gefühlt hatte; seine Freunde hatten über sie Bescheid gewusst und vielleicht sogar Angebote auf sie gemacht.
Die heutige Dinnerparty war der Köder für Belle gewesen, und sie hatte ihn geschluckt, mitsamt Haken. Alles, was nötig gewesen war, waren ein gut aussehender, höflicher Begleiter, ein atemberaubendes Kleid und zu viel Alkohol. Indem sie bereitwillig mit Clovis auf sein Zimmer ging, hatte sie sich jedes Recht genommen, sich später zu beklagen.
Aber natürlich rechnete Madame Albertine gar nicht damit, dass sie sich beklagte. Zweifellos würde sie Belle bedauern, wenn sie heute Morgen zurückkäme, sie dann aber taktvoll darauf hinweisen, dass sie es in Zukunft besser gegen Bezahlung tun sollte,schließlich würde sie so am schnellsten das Geld für die Fahrkarte nach England verdienen.
Ob nun Madame Albertine oder Arnaud Germaine die Kunden auftrieben – das Geld, das Belle verdiente, würden sie sich teilen, und sie wäre in derselben Situation wie bei Martha.
Sie wusste, dass es in allen Hafenstädten Bordelle gab, und obwohl bei Madame Albertine keine anderen Mädchen waren und das Haus kein bisschen wie ein Bordell aussah, war es mehr als wahrscheinlich, dass sie und Arnaud planten, Belle in einem Freudenhaus in der Nähe unterzubringen. Wahrscheinlich war es ziemlich unlogisch, dass sie sich darüber ärgerte, denn sie hatte ohnehin beabsichtigt, als Hure zu arbeiten. Es war die Täuschung, die wehtat. Madame Albertine hatte sie ihren Freunden und Bekannten vorgeführt und dabei so getan, als wollte sie Belle eine Freude machen, während sie in Wirklichkeit in ihr nur eine Ware gesehen hatte, die an den Höchstbietenden verkauft werden sollte.
Belle dachte noch eine Weile nach, bevor sie aufstand und Clovis’ Jackett durchsuchte, das er auf den Boden geworfen hatte. Als sie seine Brieftasche fand, nahm sie fünf Zwanzig-Franc-Scheine heraus. Sie schätzte, dass dieser Betrag ungefähr zwanzig Dollar entsprach, was für eine Nacht mit einer erstklassigen Hure ein mehr als fairer Preis war.
Mittlerweile hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt, und sie stand einen Moment am Bett und betrachtete Clovis. Er sah gut aus, und der Abend mit ihm hatte Spaß gemacht, bis sie sich ihren Rausch angetrunken hatte, aber ein Gentleman war er nicht. In seiner Brieftasche steckten ungefähr dreihundert Francs, und er konnte sich glücklich schätzen, dass sie nicht das ganze Geld genommen hatte. Aber sie war keine Diebin und wollte auch keine werden.
Nachdem Belle das Geld in ihr Täschchen gestopft hatte, huschte sie auf Zehenspitzen aus dem Zimmer und ließ Clovis friedlich schnarchend zurück.
Unten im Foyer saß der Nachtportier an der Rezeption unddöste. Belle schlich leise an ihm vorbei und betrat die kleine Garderobe, wo sie vor einigen Stunden ihren Mantel abgelegt hatte. Zum Glück fand sie ihn dort noch vor.
Als sie herauskam und zur Eingangstür ging, schreckte der Portier hoch und setzte sich kerzengerade auf.
» Revenez au sommeil, doux monsieur «, sagte sie keck und warf ihm eine Kusshand zu. Das hatte Madame Albertine am Weihnachtsfeiertag zu einem ihrer Bekannten gesagt, als er etwas nicht mitbekam. Sie hatte Belle erklärt, dass es »Schlafen Sie weiter, lieber Herr« bedeutete. Ob das stimmte, würde sie nie erfahren, aber der Portier grinste verschämt, und Belle schlüpfte rasch zur Tür hinaus.
Es war sehr kalt draußen und immer noch dunkel. Belle lief die Straße entlang, die bergab führte, weil es in dieser Richtung logischerweise zum Hafen gehen musste. Sie hoffte, dort ein Café zu finden, wo sie etwas Warmes zu trinken und eine Wegbeschreibung zum Bahnhof bekommen konnte. Zum Glück war ihr Mantel lang genug, um ihr Abendkleid zu verbergen; tagsüber hätte sie darin einen sehr seltsamen Eindruck gemacht. Einen Teil von Clovis’ Geld würde sie für ein warmes Tageskleid opfern müssen, weil sie unmöglich zu Madame Albertine zurückgehen konnte, um ihre übrige Habe und ihre Ersparnisse zu holen.
Als sie die menschenleere Straße hinunterging, schämte sie sich furchtbar, weil sie so dumm gewesen war, Fremde ins Vertrauen zu ziehen und sich von ihnen manipulieren zu lassen. Sie war müde und den Tränen nahe. Das war kein Wunder, schließlich hatte sie kaum geschlafen und
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