Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
Mann war groß, genauso groß wie Noah, und kräftig gebaut. Er hatte die gerötete Gesichtsfarbe eines Menschen, der gern und reichlich aß. Die Weste, die unter seinem erstklassig geschnittenen dunklen Jackett gut zu sehen war, war aus silbern durchwirktem, smaragdgrünem Stoff. Fritz’ Bemerkung, dass der Mann eine starke Persönlichkeit war, schien zuzutreffen. Noah beobachtete, wie er einen anderen Gast begrüßte und sich mit ihm, soweit Noah es mitbekam, auf ein gutmütiges Geplänkel einließ. Sein tiefes Lachen war ansteckend, und er wirkte insgesamt sehr sympathisch.
Noah bestellte einen Kaffee und beugte sich zu seinem Nachbarn vor. » Excusez-moi. Êtes-vous Monsieur Le Brun? «
» Je suis en effet «, antwortete der Mann und lächelte. »Und Sie sind?«
»Noah Bayliss. Tut mir leid, ich spreche nur sehr wenig Französisch.«
»Wie alle Engländer«, lachte Le Brun. »Aber ich übe gern Englisch.«
»Darf ich mich zu Ihnen setzen?«, bat Noah. »Ich muss Sie etwas fragen.«
Der Mann nickte, aber sein Gesicht wirkte nicht mehr ganz so freundlich. Noah setzte sich an Le Bruns Tisch und fragte ihn, um sein Misstrauen zu beschwichtigen, welches Restaurant er Noah empfehlen würde, um eine junge Dame zu beeindrucken.
Der Trick schien zu funktionieren. Für einen wirklich unvergesslichen Abend schlug Le Brun Le Grand Vefour vor, wo Napoleon mit Josephine zu speisen pflegte. Das Essen wäre exzellent. Er nannte noch einige andere Lokale, die nicht so teuer, aber ganz ausgezeichnet waren, unter anderem auch eines seiner eigenen Restaurants. Noah schrieb alle Namen in sein Notizbuch.
Als Le Brun ihn fragte, ob er auf Urlaub in Paris wäre, holte Noah tief Luft und sagte, dass er eigentlich gekommen sei, um nach der Tochter einer Bekannten zu suchen.
»Ich hatte die Adresse ihres Hotels, aber sie ist spurlos verschwunden«, sagte er. »Das Ganze ist ziemlich rätselhaft, weil sie all ihre Sachen zurückgelassen hat. Das sieht Belle gar nicht ähnlich. Ich mache mir allmählich Sorgen.«
In der Hoffnung, ihr Name würde eine Reaktion hervorrufen, behielt er den Mann scharf im Auge, und er wurde nicht enttäuscht.
»Belle?«, wiederholte Le Brun erstaunt. »Ich kenne ein Mädchen, das so heißt.«
Noahs Erfahrungen als Journalist und Ermittler für eine Versicherungsgesellschaft hatten ihn gelehrt, unaufrichtige von aufrichtigen Menschen zu unterscheiden. Philippe Le Brun mochte ein Schwerenöter sein, ein Lügner war er nicht.
»Wirklich? Wie sieht sie aus?«, fragte er eifrig.
»Wie sie heißt – schön. Blaue Augen, dunkle Locken. Aber die Namensgleichheit ist reiner Zufall, denn dieses Mädchen ist eine fille de joie .«
Noahs Puls raste.
»Sie verstehen diesen Ausdruck doch?«, fragte Le Brun ein wenig nervös.
Noah nickte. Er antwortete nicht gleich, weil er sich genau überlegen musste, was er sagen sollte.
»Ich habe guten Grund zu glauben, dass unsere Belle genau das ist«, sagte er leise. »Sehen Sie, sie wurde vor zwei Jahren in London entführt, und seit damals sind ihre Verwandten und ich auf der Suche nach ihr. Wir dachten schon, dass sie tot ist, aber dann bekam ich ein Telegramm, in dem stand, dass sie hier in Paris ist. Leider kam ich zu spät. Sie war verschwunden.«
» Mon dieu !«, rief Le Brun, dessen gesunde Gesichtsfarbe deutlich blasser geworden war. »Erst vor zehn Tagen habe ich einen Abend mit ihr verbracht. Ich hatte gehofft, sie bald wiederzusehen, sie ist …« Er brach abrupt ab. Anscheinend war ihm gerade aufgegangen, dass diese Begegnung kein Zufall war.
»Ja, ich weiß. Ich habe in Belles Zimmer eine Nachricht von dem Mann gefunden, der ihre Verabredungen arrangiert«, gestand Noah. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich Ihnen etwas vorgemacht habe, aber Sie werden sicher verstehen, dass ich äußerst behutsam vorgehen musste. Auf dem Zettel stand, dass sie sich mit Ihnen auf dem Montmartre treffen sollte. Ihre Wirtin sagte, dass sie sich darauf gefreut hat, Sie zu sehen. Aber Belle ist nie zurückgekehrt.«
»Also wirklich, ich würde nie …«, brauste Le Brun erzürnt auf.
»Ich weiß«, sagte Noah beschwichtigend. »Das Treffen mit Ihnen war eindeutig ein Vorwand. Aber wenn Sie Belle gern haben, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir alles erzählen könnten, was Sie über sie und den Mann, der die Treffen vereinbart, wissen. Alles, was Sie mir sagen, wird natürlich streng vertraulich behandelt.«
Le Brun bedeckte kurz sein Gesicht mit den Händen, als
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