Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
ihn auch nicht. Aber das ist acht Jahre oder länger her. Seit damals habe ich ihn nie wieder gesehen.«
»Als was hat er gearbeitet?«
»Hat er nicht gesagt. Er war gut gekleidet, aber ich glaube nicht, dass er besonders viel Geld hatte – ein Büroangestellter vielleicht?«
»Jetzt ist er Portier im Ritz . Er hat für Belle die Kunden an Land gezogen.«
Madeleines Augen weiteten sich vor Überraschung. »Dann hast du womöglich recht, wenn du dir Sorgen um sie machst. Ich erinnere mich vor allem deshalb so gut an ihn, weil er es gern grob hatte. Er hat mich ziemlich schlimm gebissen und mir eine Ohrfeige gegeben, als ich mich beschwerte. So ähnliche Dinge haben die anderen Mädchen auch über ihn erzählt.«
»Weißt du, wo er wohnt?«
»In unserer Branche werden keine Adressen notiert«, antwortete sie mit einem leisen Lachen. »Meistens erfahren wir nicht mal die richtigen Namen. Aber dieser Typ wollte, dass wir seinen kennen, als ob er sich dadurch wichtiger vorkam.«
»Bis du je einem Mann namens Le Brun begegnet?«, fragte Etienne.
»Dutzenden«, erwiderte sie trocken.
Etienne erklärte, dass dieser Le Brun sehr vermögend und ein angenehmer Begleiter sein musste, weil Belle sich anscheinend auf den Abend mit ihm gefreut hatte.
»Tja, damit können wir die meisten wohl streichen«, meinte Madeleine. »Es wird doch nicht Philippe Le Brun sein, oder? Der Millionär, dem all die Restaurants gehören? Ich kenne ein Mädchen, das mit ihm zusammen war. Er war mit ihr essen und nachher tanzen. Sie hat gesagt, es war so ein schöner Abend mit ihm, dass sie es auch umsonst gemacht hätte!«
Etienne hatte von dem Mann, den sie beschrieb, noch nie etwas gehört, aber seine Kontakte in Paris bewegten sich in einer ganz anderen Gesellschaftsschicht. »Ist dieses Mädchen zufällig hier?«
Madeleine lachte. »Glaubst du, ein Mann wie er will ein Straßenmädchen? Sie war Tänzerin und ist durch jemanden vom Theater zu ihren Kunden gekommen. Aber sie hat geheiratet und ist weggezogen. Das kommt nicht sehr oft vor. Sie hat Glück gehabt.«
Etienne spürte, dass Madeleine ihm nicht weiterhelfen konnte. Auf einmal fühlte er sich sehr müde. »Ich muss jetzt gehen, Madeleine«, sagte er. »Du hast mir wirklich geholfen. Danke.«
»Ich wünschte, ich könnte mehr tun«, sagte sie. »Aber du weißt ja, wo du mich findest, falls dir noch etwas einfällt.«
Er bezahlte die Rechnung und drückte ihr fünfzig Francs in die Hand. »Kauf dir was Hübsches zum Anziehen«, sagte er. »Smaragdgrün, die Farbe hat dir immer gut gestanden.« Er stand auf und beugte sich vor, um sie zu küssen. »Pass gut auf dich auf!«
Am nächsten Morgen beim Frühstück spürte Etienne, dass Noah starke Vorbehalte gegen ihn hatte. Das überraschte ihn nicht – nach allem, was der Mann von ihm wusste, hätte er ein Dummkopf sein müssen, um ihm zu vertrauen. Wie sich herausstellte, war Noah Belle nie begegnet; er hatte nur Kontakt zu ihrer Familie, weil er in Millie, die Prostituierte, deren Ermordung Belle mit angesehen hatte, verliebt gewesen war. Als Etienne erzählte, wie er Belle während der Überfahrt nach Amerika allmählich lieb gewonnen hatte, reagierte Noah eher unwirsch.
»Hat sie Ihnen erzählt, dass sie daheim in England einen Liebsten hat?«, fragte er giftig.
»Ich nehme an, Sie meinen Jimmy?«, gab Etienne zurück. »Ja, sie hat mir von ihm erzählt, allerdings nur, dass sie befreundet waren. Aber was Jimmy ihr auch bedeutet hat, zwischen mir und Belle war nichts, falls Sie das befürchten. Sie hatte bei Madame Sondheim Schreckliches durchgemacht, und ich war ein glücklich verheirateter Mann. Wir waren praktisch das, was wir zu sein vorgaben: Onkel und Nichte.«
»Jimmy liebt sie«, beharrte Noah.
Etienne war schon aufgefallen, dass der gute Noah ein bisschen naiv war. Sein Ausflug in Annies Bordell war sein erster flüchtiger Blick in Londons Halbwelt gewesen, und auch wenn er das Herz auf dem rechten Fleck hatte und kein Zweifel an seiner Integrität bestehen konnte, hatte er eher idealistische Ansichten über das Leben und die Menschen.
»Es ist sicher nicht schwer, sich in Belle zu verlieben«, stimmte Etienne ihm zu. »Und so Gott will, werden Sie sie zu Jimmy und ihrer Mutter und Mog, der Dame, von der Belle mir so viel erzählt hat, zurückbringen. Wenn Sie glauben, dass ich hier bin, um sie für mich zu beanspruchen, irren Sie sich. Ich will nur versuchen, ein Unrecht wiedergutzumachen.«
Noah
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