Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
Überfahrt an dich, aber ich habe mich nicht getraut, mich nach dir zu erkundigen. Dann hätten vielleicht die falschen Leute Wind davon bekommen. Aber in Marseille habe ich mich auch sehr dumm verhalten. Man sollte meinen, ich hätte mittlerweile gelernt, niemandem zu vertrauen.«
»Und wem hast du dort vertraut?«
»Na ja, zuerst einem anderen Passagier, einem gewissen Arnaud Germaine. Er brachte mich in das Haus einer Bekannten, Madame Albertine. Kennst du zufällig einen von beiden?«
Etinne lächelte schief. »Der Name Germaine sagt mir nichts, aber von Madame Albertine habe ich gehört. Sie ist dafür bekannt, attraktive junge Männer mit reichen älteren Frauen bekannt zu machen.«
Belle runzelte die Stirn und fragte sich, ob die jungen Männer, die sie bei Madame Albertine kennengelernt hatte – einschließlich Clovis –, eventuell Gigolos gewesen waren. Da ihr der Vorfall mit Clovis immer noch peinlich war, wollte sie nichts weiter über Marseille sagen.
»Sagen wir einfach, dass ich es bedauert habe, ihr alles über mich erzählt zu haben«, sagte sie. »Ich wollte dort weg und stieg in den Zug nach Paris.«
Etienne fiel ein, dass Gabrielle erwähnt hatte, Belle habe unter ihrem Mantel ein Abendkleid getragen und kein Gepäck bei sich gehabt, als sie im Mirabeau eintraf. Wahrscheinlich hatte sie in Marseille eine demütigende Erfahrung gemacht, über die sie nicht sprechen wollte.
»Ich dachte schon, ich sehe Gespenster, als du durch diese Tür gestürmt bist«, sagte sie mit einem matten Lächeln. »Ich war so entgeistert, dass ich nicht einmal verlegen war, nackt zu sein.«
Etienne erwiderte ihr Lächeln. »In späteren Jahren wird uns das Ganze wie eine Szene aus einem Groschenroman vorkommen. Jammerschade, dass ich nicht daran gedacht habe zu rufen: ›Gib sie frei, Ruchloser!‹«
Jetzt musste Belle wirklich lachen. »Es ist wirklich schön, dich wiederzusehen. In New Orleans habe ich mich manchmal gefragt, ob du wirklich so gut aussehend und geheimnisvoll warst, oder ob ich das nur fand, weil ich so jung und naiv war. Aber du bist in jeder Beziehung so, wie ich dich in Erinnerung hatte.«
»Und ich habe oft daran gedacht, wie liebevoll du mich gepflegt hast, als ich seekrank war, und wie schön du an dem letzten Abend auf der Fahrt nach New Orleans ausgesehen hast. Es ist mir sehr schwergefallen, dich damals dort zu lassen, Belle. Ich habe mir immer gewünscht, ich hätte dich nie dort hingebracht.«
»Du hattest keine Wahl«, sagte sie bestimmt. »Und du musst dir deswegen keine Vorwürfe machen. In gewisser Weise hat es mir geholfen.«
»Wie kannst du so etwas sagen?«, fragte er.
»Ich bin erwachsen und selbstständig geworden«, erwiderte sie achselzuckend. »Ich habe viel über die Menschen gelernt. Aber lassen wir doch dieses ›Ich wünschte, ich hätte nicht‹-Zeug. So habe ich ununterbrochen gedacht, als ich in Pascals Haus war, und das macht einen einfach wahnsinnig.«
Etienne hatte schon auf der Überfahrt nach Amerika Belles Fähigkeit bewundert, sich mit Dingen abzufinden, die sie nicht ändern konnte, und er war froh, dass sie immer noch diese Einstellung hatte. »Na schön. Was würdest du mir sonst noch gern erzählen oder von mir wissen?«, fragte er.
»Ich habe in meinem Zimmer im Mirabeau ziemlich viel Geld aufbewahrt. Hat Gabrielle es gefunden?«
»Ich habe es gefunden«, antwortete er. »Es ist immer noch vollzählig vorhanden. Und hinter Gabrielles verdrießlichem Äußeren verbirgt sich ein großes Herz. Noah war gestern Nacht noch bei ihr, um ihr zu erzählen, dass wir dich gefunden haben und wo du jetzt bist. Er hat erzählt, dass sie gestrahlt hat wie der Eiffelturm mit Beleuchtung. Sie war ganz krank vor Sorge und kann es kaum erwarten, dich zu sehen.«
Jetzt schloss Belle die Augen, und Etienne nahm sich vor zu warten, bis sie eingeschlafen war, und sich dann leise hinauszuschleichen.
Aber ein paar Minuten später schlug sie die Augen wieder auf. »Ich weiß, dass ich gesagt habe, wir sollten dieses ›Ich wünschte, ich hätte nicht‹-Gerede lassen. Aber hast du je das Gefühl gehabt, es wäre besser zu sterben, als mit all den schlimmen Dingen zu leben, die du getan hast?«
»Ja«, gab er zu. Erst vor wenigen Monaten hatte er an nichts anderes gedacht. »Aber jetzt hör mir mal gut zu, Belle. Jede fünfte Frau in Paris ist eine fille de joie , und die meisten von ihnen hatten genau wie du keine andere Wahl, als ihren Lebensunterhalt auf diese
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