Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
Vom Netzwerk:
hatte der Eilige so oft Mappen unter dem Arm, wenn er das Haus verließ, aber nie, wenn er das Haus betrat? Warum? Warum? Warum?
    »Fangen wir mit dem Wichtigsten an, Stine. Wer wohnt im dritten Stock? In aller Kürze, ohne Abschweifungen?«
    »Aber die Abschweifungen sind für das Gesamtbild nötig.«
    »Würde es dich freuen, wenn ich dir meine Hochachtung für deine unerhörte Beobachtungsgabe ausspreche?«
    »Freuen schon. Aber wenn ich alles sagen könnte, würde es mich noch mehr freuen. Manches Wissen will einfach in die Welt hinaus. Es verkümmert, wenn man es im Körper einschließt. Es macht schlechten Atem und faulige Gase.«
    Dritter Stock. Rechts lebte der Künstler, ein Mann mit ungewaschenen langen Haaren und farbbeschmierten Händen. Er wirkte, als sei er in Gedanken woanders. Wenn alle anderen nicht grüßten, war das unhöflich. Wenn der Künstler den Gruß nicht erwiderte, sah man es ihm nach. Er war eben ein Künstler und lebte in einer anderen Welt. Er bekam fast täglich Besuch von einer Frau, die zehn Jahre älter war. Sie blieb lange, und in der Wohnung, die aus zwei Räumen bestand, war es dann völlig still. Selbst wenn man ein Ohr an die Tür legte, war es still. Und wenn man das Ohr lange auf der Tür liegen ließ, war es immer noch still. Als wären sie tot. Aber irgendwann verließ sie die Wohnung, immer in Eile, die Haare ordnete sie, während sie die Treppe hinunterlief. Es gab Hinweise, dass sie verheiratetwar und ihr Mann für die Umbauten und Ausbauten an den Schlössern der Umgebung zuständig war. Ein Bild des Künstlers hatte noch niemand gesehen. Manchmal kam er betrunken nach Hause, sehr spät, fast schon morgens. Dann schwankte er und fiel auch hin, aber ohne Lärm. Einmal hatte man ihn schlafend vor seiner Tür gefunden.
    Dritter Stock Mitte. Hier lebten der alte Fischer und seine Frau, bei ihnen wohnte der Sohn, der in den Fünfzigern war. Er wäre beinahe ertrunken und konnte seitdem nicht mehr klar denken. Er war ein sanfter Mensch, der oft lächelte und selten sprach. Seine Eltern waren gebrechlich. Man erzählte sich, dass sie die Wohnung, die eigentlich über ihre Verhältnisse ging, der Fürsprache eines Mannes aus dem Rathaus zu verdanken hatten. Die alten Leute grüßten und waren hilfsbereit. Wenn man Fisch und Krebse essen wollte, gab es keine bessere Adresse als sie.
    Dritter Stock links. Die meisten hielten die beiden für Brüder, sie sahen sich auch ähnlich. Beide waren keine vierzig, trugen mächtige Bärte und empfingen in der Wohnung Besucher, die ihnen Schmuck und Gold und Silber anboten. Sie boten ihnen im Gegenzug Geld, und die Besitzer der Wertgegenstände hatten dann drei Monate Zeit, sie wieder einzutauschen. Zu den beiden kamen alle: vom verschlagenen Mann, der den Blick abwandte, bis zur vornehmen Dame, die ihr Gesicht unter einem großen Hut versteckte. Die Brüder zahlten reichen Kunden relativ wenig und armen Kunden relativ viel. Man wusste nicht, ob das nur ein Gerücht war. Man wusste überhaupt nicht, was man von ihnen halten sollte. Sie grüßten zwar, aber niemand hatte je mit ihnen geplaudert. Sie waren oft verreist, stets beide gleichzeitig. Dann hielt ein jüngerer Mann in der Wohnung die Stellung und empfing die Kunden. Er war der freundlichste von allen, sang viel und manchmal spielte er Klavier. Es gab keine Hinweise, dass die Bewohner Wucherer waren. Natürlich hatten die Policey und das Gericht Hinweise erhalten. Aber es hatte sich nie etwas daraus entwickelt.
    Vierter Stock links. Rosanna Lantzmann, Hutmacherin und erste Adresse für Kopfschmuck. Sie arbeitete für Damen und Herren, am liebsten für die Männer, denn angeblich könnten Männer vom passenden Hut besonders profitieren. Bei ihr kauften alle: von der Schauspielerin über die Gattinnen wohlhabender Bürger bis zu blaublütigen Kunden. Aus Leipzig und Magdeburg, aus Berlin und Erfurt und süddeutschen Städten schaute man bei Rosanna herein. Kaufleute auf der Durchreise verließen Halle nicht, ohne Rosanna die Hand zu küssen. In der Wohnung war ihr Atelier, eine Frau und ein Mann nähten für sie. Ihre privaten Bedürfnisse hatte Rosanna auf einen einzigen Raum reduziert und behauptete, nicht darunter zu leiden. Gute Kunden empfing sie in der Wohnung, die Laufkundschaft sah sich in ihrem Geschäft in einer Nebenstraße um, fünf Fußminuten entfernt.
    Zweimal im Jahr verliebte sich Rosanna, jedes Mal unsterblich. Darunter machte sie es nicht. Danach litt sie wie ein

Weitere Kostenlose Bücher