Doctor Boff - Weiberkranckheiten
keinen Schaden davon erlitten. Im Gegenteil: Ihr seid Albert Boff …«
»Albrecht.«
»… Albrecht Boff, Stadtphysicus von Halle. Euer Kopf wird eines Tages im Rathaus hängen, in Öl im Rahmen an der Wand, neben Tänzers. Keine schlechte Nachbarschaft.«
»Und wenn Tänzer in vier Wochen wieder gesund ist?«
»Dann tritt der Vertrag in Kraft, den wir in gegenseitigem Einvernehmen geschlossen haben. Ihr erinnert Euch? Solange, wie Tänzer ausfällt. Keinen Tag länger.«
»Verstehe. Geht es Tänzer schlecht, geht es mir gut.«
»Werden wir jetzt ein klein wenig rührselig?«
Er fragte den Bürgermeister frei heraus, ob er Bewachung für Tänzer abstellen wolle. Der redete sich heraus. Dafür sei der Kollege Dosse zuständig, der sich ja schon geäußert habe. Und wenn Tänzer etwas passierte?
»Dann ist niemand betroffener als ich«, antwortete der Bürgermeister.
»Ich passe Euch gut ins Konzept, nicht wahr?«
»Ich habe in meinem langen Leben schon schlechtere Scharaden aufgeführt, in der Tat. Ihr habt die Lage beruhigt, viele Kollegen hegen für Euch warme Gefühle. Zwei von ihnen haben Frauen, die Eure Patientinnen sind. Sie berichten das Allerbeste von Eurer Liebenswürdigkeit. Sattler weiß nun, dass er aufhören kann, ungeduldig mit den Hufen zu scharren. Und wir haben Zeit gewonnen, uns einen Weg auszudenken, um den Ehrgeizling zu vermeiden.«
»Lasst ihn doch verprügeln! Oder Schlimmeres!«
»Das habe ich nicht gehört. Reden wir über Wichtiges. Ich könnte noch einen Keks vertragen. Oder sagen wir zwei: einen hellen und einen dunklen.«
27
Die zweite Nacht verlief wie die erste. Den Wachdienst versahen der Bote Lewerkühn und ein Mann, der Boff von der Hausherrin empfohlen worden war. Er sah es als Ehre an, etwas für den verehrten Medicus tun zu können. Hermine hatte sich grollend in ihre Dachkammer zurückgezogen, aus der kurz darauf tiefe Atemzüge zu hören waren. Aber nur, wenn man sich lautlos näherschlich und das Ohr an die Tür legte.
Katarina Tänzer durchwachte die Nächte in ihrem Zimmer, aus dem sie immer wieder zu Rundgängen durchs Haus aufbrach. Sie hätte schlafen können. Ihre Zeit war der helle Tag. Aber die Unruhe war zu groß. In jeder Minute waren zwei Gefühle gleichzeitig in ihr aktiv: die nüchterne Erkenntnis, dass ihr Mann friedlich sterben würde. Und die Angst, dass der Mörder Erfolg haben könnte und ihrem Mann ein grässliches Ende bevorstand. Für Katarina war nur die Frage offen, auf welche Weise er hinübergehen würde.
Eine bizarre Erkenntnis: Seitdem ihr Mann fast tot war, herrschte in ihrem Haus eine Lebendigkeit, die sie jahrelang vermisst hatte. Es war nicht das Zusammenleben mit ihrem Mann, das ihr widerstrebt hatte. Es war die Stille im Haus gewesen. Wenn Tänzer nach Hause kam, aus der Praxis oder aus Gremien, war er erschöpft, wollte nicht mehr reden und sehnte sich nicht nach Gesellschaft. Hunderte, wenn nicht tausende Abende hatte Katarina still mit Tänzer verbracht. Sie hatte nicht darunter gelitten, einerseits. Aber es war oft doch sehr, sehr still gewesen.
Zwei weitere Tage ging es so: Tagsüber ein Wächter, in der Nacht zwei. Zwischendurch erwachte Tänzer, erschreckte seine Fraumit diesen unschuldigen Augen, verstand nichts, sagte nichts, gab nichts zu erkennen, um dann wieder einzuschlafen. Der ausgemergelte Mann wurde mit jedem Tag schwächer, er war so leicht, dass sein Körper sich nicht mehr in die Matratze eindrückte. Die Gesichtsknochen standen heraus, er hatte einen Totenschädel, obwohl er noch lebte. In diesem immer kleiner werdenden Gesicht wurden nur die Augen nicht kleiner. Immer stärker ergriffen sie Besitz vom Gesicht, ihr Ausdruck wurde unerträglich. Wenn sie offen waren, suchten diese Augen Kontakt zu Katarina. Sie durfte sich nicht abwenden, aber es fiel ihr nicht leicht. Ständig musste sie widerstrebende Gefühle aushalten: dass sie diesen Mann liebte; und dass sie seinen Blick nicht ertrug.
Jeden Tag schaute Doctor Boff vorbei, nie ließ er sich entschuldigen. Er spürte, wie es um die Frau stand. Und auch er musste zwei Gefühle unter einen Hut bekommen: Er wollte ihr Mut zusprechen; aber er wollte ihr auch signalisieren, dass es bald vorüber sein würde. Das eine war Trost, wenn auch vielleicht ein nicht erwünschter; das andere war grausam, wenn auch gleichzeitig ein Trost. Im falschesten Moment wurde Boff klar, dass Tänzer, wenn er nicht mehr lebte, ein Objekt der Begierde für Rohwedder darstellen
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