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Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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sei so dicht am Menschen wie der Arzt, deshalb könne man nicht das Interesse am Menschen verlieren, sobalder … »Ich kürze es ab«, sagte der Bürgermeister schaudernd, »bevor mir übel wird. Sattler will Stadtphysicus werden. Beziehungsweise wollte. Er hat Tänzers Nähe gesucht, machte ihm schöne Augen, tat so, als würde er ihm am liebsten die Hand lecken. Im Grunde wollte er sich unentbehrlich machen. Er hoffte, dass jeder ihn für den geborenen Nachfolger Tänzers hält. Das wollte nun eine starke Fraktion im Magistrat nicht. Und auch unter seinen Berufsbrüdern hat er mehr Feinde als Freunde. Der Kerl ist einfach zu zielstrebig. Er schafft es nicht, seinen Ehrgeiz in ein Mäntelchen einzuschlagen, zur Not in einen Papageien-Mantel, wie ihn Euer Neger trägt. Er zählt die Tage, und dann will er Physicus sein, und seine Pietisten werden aus der Saale klettern und alle Posten besetzen, die wir nicht rechtzeitig vor ihnen in Sicherheit bringen. Versteht mich nicht falsch. Es ist eine Frage der Menge. Ein Pietist allein tut niemandem weh, ich habe Pietisten unter meinen Freunden. Aber drei Pietisten sind fast schon ein frommes Heer. Und gegen zwanzig von ihnen ist die Pest ein großer Spaß. Sie sind humorlos und hölzern, und wenn du in Gesellschaft einen fröhlichen Furz fahren lässt, hast du dein Billet in die Hölle sicher. Ohne Rückfahrbillet.«
    »Gab es denn einen Zeitpunkt für Tänzers Rücktritt?«
    »Nein. Ein Physicus amtiert solange, wie seine Kräfte es zulassen. Wenn er so tattrig ist, dass er den Löffel fallen lässt, werden wir Gespräche mit ihm führen und an deren Ende wird er zurücktreten. Aber davon war bei Tänzer keine Rede. Zehn Jahre hätte er noch gemacht.«
    »Aber dann … aber dann …«
    »Sprecht es aus, bevor es Euch Beschwerden bereitet.«
    »Natürlich will ich niemanden beschuldigen.«
    »Wer will das schon? Niemand will das. Ich habe noch nie einen Menschen beschuldigt. Ich habe noch nie gelogen, habe noch nie verschlafen und nie zu viel getrunken und gegessen. Ich habe nie meine Kinder geschlagen, habe nie die langweiligenStunden in der Kirche verflucht und habe nie einer schönen Frau hinterhergeschaut. Und warum? Weil ich der Bürgermeister bin. Der Bürgermeister ist edel, hilfreich und gut.«
    »Ihr seht aus, als würdet Ihr gleich weinen.«
    »Achtet nicht darauf, wenn ich mich umdrehe und mit dem Schnupftuch in meinen Augen herumwische.«
    »Kein Wort gegen den Kollegen Sattler. Aber wenn es sich so verhält, wie Ihr es darstellt, dann … sagen wir: Er erleidet keinen Schaden, wenn Tänzer etwas passiert.«
    Der Bürgermeister drehte sich um, weil der Papagei in den Raum geflattert war und neben einem neuen Schnaps bisher nicht gesehene Kekse auf den Tisch stellte.
    »Warum nicht gleich so«, murmelte der Bürgermeister. »Ihr macht Punkte. Wurde auch Zeit.«
    Er biss in den hellen Keks, danach in den dunklen, legte beide Kekse übereinander und schob sie sich in den Mund, bis sie nicht mehr zu sehen waren.
    »Das würde ein Pietist nicht tun«, sagte Boff lächelnd.
    »Vielleicht würde er es heimlich tun, aber sein frommer Körper würde ihn mit tagelanger Verstopfung strafen.«
    Boff dachte nach, während sich der Bürgermeister der Glückseligkeit entgegenschlemmte. Boff hatte diese Kekse noch nie gesehen, aber das war nicht sein Problem. Es wäre nur sein Problem gewesen, wäre Rohwedder der Bäcker gewesen. Diese Vorstellung weckte in Boff ungute Phantasien. Aber auch dieser Sattler war nicht ohne. Boff schob alles, was mit Tänzer passiert war und passieren könnte, in eine entfernte Ecke. Dann blieb noch einiges übrig. Er, Albrecht Boff, war ein Kompromisskandidat. Das amüsierte ihn nicht. Er war der Bauer in einem Schachspiel, von dem er bis vor wenigen Minuten nicht gewusst hatte, dass es gespielt wurde. Das amüsierte ihn noch weniger. Am wenigsten amüsant fand er, dass niemand Veranlassung gesehen hatte, ihn über seine Rolle in Kenntnis zu setzen. Man hatte ihm einen Posten zugeschoben, an den er unter normalenUmständen nie gelangt wäre. Er hatte den Posten akzeptiert und es für möglich gehalten, dass es Gründe der Qualität waren, die ihn dafür befähigt hatten. Dabei hätten sie auch einen Esel genommen, hätte er ihnen in den Kram gepasst.
    »Ihr seht bedrückt aus«, erkannte der Bürgermeister scharfsichtig. »Es geht gegen Eure Ehre, nehme ich an. Da müsst Ihr jetzt durch. Das Spiel musste unbedingt gespielt werden, und Ihr habt

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