Doctor Boff - Weiberkranckheiten
Heiraten zu reden.«
Daran hatte er zu kauen. Er sah sie an, sie blickte auf das Bett.
Dann sagte sie: »Wenn er jetzt aufsteht und hinausgeht, wissen wir, dass sein Verstand und seine Ohren gesund sind.«
Seine Hand lag neben ihrer Hand. In der Praxis war ihre Hand seine Hand. Würde er sie berühren, würde er sich selbst berühren. Das war nicht verboten. Seine Hand lag auf ihrer Hand.
Sie sagte: »Ich bin wach.«
Er sagte: »Das ist gut. Dann hast du hinterher eine Ausrede weniger.«
So saßen sie da, ihre Hände berührten sich, er sah sie an, aber sie sah ihn nicht an. Sie rückte auf ihn zu, ihre Seiten berührten sich, die Nerven der Haut feuerten aus allen Rohren. Sie ließ ihren Kopf gegen seine Schulter sinken und seufzte. Er legte den Arm um ihre Schultern. Ihre Hände berührten sich nicht mehr.
Die Kerzenflammen sahen aus wie gemalt. Im Haus gab es kein Geräusch, draußen war alles ruhig. Nicht einmal das Rauschen der Blätter. Er schloss die Augen und atmete ihren Geruch ein. Sie roch nach Seife, nach nichts sonst. Er dachte: So wird es nie wieder sein.
Dann schrie Tänzer!
Es klang nicht nach Schmerz, es war auch kein Wort. Es war ein sehr lauter und überraschend heller Schrei aus dem Mund des Mannes, der seit vier Wochen keinen Laut von sich gegeben hatte. Beide standen an seinem Bett und starrten auf den Mann, der aufrecht saß, die Augen offen. Es sah aus, als wäre niemand verwunderter über den Schrei als Tänzer selbst. Katarina stürzte herein, eine Decke über den Schultern. Auf dem Bettrand sitzend, streichelte sie die hageren Wangen des Mannes, der sie freundlich anblickte. Er gab ein Geräusch von sich, als würde er kauen. Katarina nahm ihn in die Arme. Boff sah, wie sein Gesicht zufrieden war, glücklich geradezu. Die Augen schlossen sich, die Spannung wich aus dem Körper, seine Arme lagen um Katarinas Oberkörper. Die Wächter lösten die Arme, Tänzers Körper sank zurück. Hermine suchte den Puls. Boff suchte den Puls. Katarina schloss die Augen ihres Mannes.
28
In der Praxis traten sich die Patientinnen auf die Füße. Es roch nach Wurst und Käse, erfahrene Frauen hatten sich in Erwartung langer Wartezeiten verproviantiert und verspeisten, was im Korb lag. Man probierte von der Nachbarin, tauschte Käse und Wurst und Rezepte fürs Einwecken, Würzen, Räuchern, Einlegen; wenn sich jemand über den Geruch beschwerte, wurde ihm seine Empörung mit einer Köstlichkeit abgeluchst.
Die heutigen Fälle erforderten von Boff viel Zeit. Sei es, weil sich die Frauen verschwommen ausdrückten; sei es, weil die Bilder der Beschwerden vielschichtig waren; seien es persönliche Gründe wie Scham und Dialekt, die den Doctor immer wieder in Sackgassen führten. Die Frau mit den Schmerzen im Unterleib war so eine Umstandskrämerin. Sie war schon nicht in der Lage, einen genauen Ort zu bezeichnen. Mal zeigte sie rechts, mal links; gefragt, ob die Schmerzen wandern würden, keifte sie: »Das sag ich doch die ganze Zeit.« Sie nannte die Schmerzen stumpf, dumpf, dunkel, weit entfernt, dann wieder »wie Schläge« und »so stark, dass ich mich krümme und mein Mann sagt: Willst du da liegenbleiben oder stehst du wieder auf?«
Boff sagte: »Euer Mann ist kein guter Mann, wenn seine Frau krank ist.«
Sie sagte: »Er ist auch kein guter Mann, wenn ich fröhlich und leicht bin.«
Sie fing an, über ihren Mann zu schimpfen und schilderte plötzlich Schmerzen, die seine waren und nicht ihre. Beharrlich lenkte Boff sie auf ihren Leib zurück, sie fragte: »Gibt es keine Medizin, die den Körper in einem Rutsch gesund macht? So wie man einen Eimer Wasser über den Kopf gießt und alles wird nass?«
Er sagte: »Nein«, sie sagte: »Warum erfindet Ihr nicht so eine Medizin? Jeder kriegt einen Eimer voll mit nach Hause, und wenn es wehtut, schütte ich den Eimer aus.«
Er redete ihr ein, dass er drücken müsse, unbedingt, augenblicklich, die Gefahr sei groß, sie sagte: »Nun macht schon.« Er drückte, sie ging vor Schmerzen in die Knie. Es war die Leber oder der nebenan liegende Darm. Ihre Haut war nicht gelb, auch die Augäpfel nicht. Sie wollte genau schildern, wie sie sich ernährte. Sie aß wie ein Hausschwein. Weggeworfen wurde in diesem Haushalt nichts, Schalen wurden gekocht oder schwammen in der Suppe. Von Huhn und Ente wanderte alles außer den Schnäbeln in die Mägen. Alkohol? Sie tranken Wein, den sie selbst herstellten: aus dem Obst, das greifbar war, und aus Schlehen. Sie
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