Doctor Boff - Weiberkranckheiten
gewesen, dass niemand seiner Frau helfen konnte; und die, die dazu in der Lage gewesen wären, forderten ein Honorar, wenn sie sich die Patientin nur ansehen sollten. »Ich konnte sie doch nicht einfach sterben lassen«, sagte Hoppe.
»Warum nicht?«, fragte Rohwedder unbarmherzig. »Wenn Eure Heiler ihr nicht helfen können, müsstet Ihr doch einsehen, dass es niemand kann. Warum jammert Ihr denn herum, dass die Mediziner teuer sind? Sind sie nun besser oder nicht? Und wenn sie besser sind, warum sollen sie dann nicht mit ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen?«
»Aber es kann doch nicht sein, dass nur die Reichen sich einen Arzt leisten können.«
»Warum nicht? So war es doch immer. Ihr liebt die alten Zeiten doch, Eure Heiler stehen für die alten Zeiten.«
Hoppe ging es um seine Frau und nicht um kluge Debatten über ärztliche Versorgung. Er war nicht in der Lage, eine Ausbildung zum Mediziner zu absolvieren, zumal seine Frau nicht mehr viel Zeit hatte. Sie hatte Schmerzen in den Füßen, die Füße wurden erst blau, dann schwarz, dann schmerzempfindlich, und niemand wollte sie sich ansehen außer Tänzer. Bis er eines Tages keine Zeit mehr hatte. Hoppe sollte warten, seine Frau auch, aber das Sitzen bereitete ihr Schmerzen. Vom Dorf, in dem sie lebten, bis nach Halle, dauerte es mehr als eine Stunde. Zu viel für die immer schwächer werdende Frau. Der Heiler wohnte nebenan im Dorf, er bekam kein Geld, sondern warmes Essen, und Hoppe hatte das löchrige Dach seiner Hütte befestigt. Damit beglich man auf dem Land Verbindlichkeiten.
Boff fragte: »Und das ist der Grund gewesen, warum Ihr so ärgerlich auf Tänzer gewesen seid? Warum habt Ihr Euch für Eure Rache nicht einen der anderen Ärzte ausgesucht, die Euch nicht einmal empfangen haben?«
»Weil die anderen zwar Schweine sind, aber man kann sie einschätzen. Man weiß, was man von ihnen zu erwarten hat und was nicht. Sie haben mich nicht enttäuscht, weil ich bei ihnen nie Hoffnungen hatte. Aber Tänzer hat mir Hoffnungen gemacht. Ich war sicher, dass wir uns auf ihn verlassen können.«
»Haltet Ihr es für möglich, dass er einen Grund für sein Verhalten hatte?«
»Außer Unzuverlässigkeit, meint Ihr? Nein, ich kann mir keinen Grund vorstellen.«
»Ich habe Euch noch gar nicht gefragt, wie es Eurer Frau geht.«
»Sie ist tot, wisst Ihr das nicht? Vor zwei Tagen ist sie beerdigt worden.«
»Ist es deshalb? Seid Ihr deshalb …?«
Hoppe antwortete nicht. Sein Gesicht war so zerschlagen, dass man nicht erkannte, wie er sich fühlte.
Einige der umstehenden Männer begriffen nicht, was passiert war. Als es ihnen mitgeteilt worden war, äußerten sie sich unbarmherzig. »Ihr seht Euch in der Hölle wieder«, war eine der harmloseren Bemerkungen.
»Wann ist er gestorben?«, fragte Hoppe mit leiser Stimme. »Und was soll der Karneval mit der Puppe?«
Rohwedder, froh, dass endlich die entscheidenden Fragen gestellt wurden, hielt einen Vortrag über die Kunst, Leichen zu konservieren und lebendig zu erhalten. »Von wegen Puppe«, sagte er verächtlich, »Puppen sind etwas für Amateure. Ich arbeite mit echtem Menschenmaterial.« Immerhin hatte er darauf verzichtet, Tänzers Totenruhe zu stören.
»Aber der Kopf …«, hauchte Hoppe und schüttelte sich.
»Ein wenig Spaß muss sein«, erwiderte Rohwedder frohgemut. »Es sollte Euch eine Lehre sein.«
»Genauso wird Euer Kopf rollen«, kündigte einer der Männer an.
Boff wandte sich ab, während sie Hoppe vor Augen führten, was auf ihn zukommen würde. Die Frau war gestorben, diese Nachricht hatte Boff auf dem falschen Fuß erwischt. Beim ersten Angriff auf Tänzer war Hoppe ein verzweifelter Mann gewesen, beim zweiten Angriff ein verzweifelter Witwer. Beim ersten Mal hatte er noch etwas zu verlieren gehabt, jetzt nicht mehr. Sie hätten ihn genauso gut laufen lassen können. Der Mann war bereits bestraft, der Sinn einer Strafe war an ihm vergeudet. Aber Boff wusste, dass er mit dieser Forderung nicht kommen durfte. Er würde sich lächerlich machen.
Am Fenster stehend, schaute er in den Garten, durch den Hoppe gekommen war. Wenige Stunden nach Tänzers Tod, es wurde gerade hell, war seine Witwe zu Freunden nach Leipzig gefahren. Sie musste aus dem Haus sein, bevor Rohwedder seine falsche Leiche anschleppte. Hätte sie sich geweigert, wäre das Spiel an dieser Stelle beendet gewesen. Boff hatte ihr klargemacht, dass sie auf diese Weise die Chance hatten, den Mann zu fassen, der für
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