Doctor Boff - Weiberkranckheiten
die tagsüber angefallen waren. Die Männer sahen sich aufmerksam an, Lewerkühn sagte leise: »Ist es denn wirklich wahr, was man überall hört? Er ist wieder bei Stimme? Er redet zusammenhängend? Erkennt seine Frau wieder? Und besteht darauf, unten im Haus zu schlafen, weil er dicht an der Erde sein will?«
Noch leiser entgegnete Boff: »Alles trifft zu, aber wir wollen es noch für uns behalten, damit man ihm nicht das Haus einrennt. Wer Tänzer liebt, hält jetzt erst recht Abstand. Eine schnelle Gesundung wird es ihm danken.«
Lewerkühn verließ mit den Briefen die Praxis, Boff brachte ihn zur Tür, als er sich umdrehte, starrte er in zwanzig Gesichter. Sie platzten vor Neugier, aber alle taten so, als sei nichts gewesen und als hätten sie nichts gehört. So ging das schon seit dem Morgen, insgesamt viermal hatten Boff und Stine über den alten Stadtphysicus gewispert, stets in Gegenwart von dutzenden Patientinnen. Stets taten sie so, als würde ihnen nicht auffallen, wie still es wurde, wenn dutzende schnatternde Münder plötzlich verstummten.
29
In dieser Nacht nahm nur ein Wächter seinen Posten an Tänzers Bett ein. Boff vermisste Hermine, aber er wollte kein Risiko eingehen. Er hätte sich das nie verziehen, obwohl Hermine ihn abwechselnd als bevormundend, väterlich und Spielverderber bezeichnet hatte. Er spürte Hermines Hand und Hermines Kopf an seiner Schulter. Er roch ihren Geruch und betrachtete die Gestalt im Bett. Boff war unsichtbar, eine Decke verbarg seinen Körper, es brannte nur eine einzige Kerze, die auf dem Fußboden stand und es nicht schaffte, die Dunkelheit zu durchdringen.
Wie jeder Doctor besaß Boff die Fähigkeit, in einen Schlummer zu fallen, der dem Schlaf ähnlicher war als dem wachen Zustand. Aber er schlief nicht, wenngleich er zur Ruhe kam und sich auch Erholung einstellte.
Dann war da dieses Geräusch. Einmal, zweimal, danach Ruhe, danach wieder das Geräusch, diesmal am Fenster. Boff atmete tief und regelmäßig.
Etwas drückte von draußen gegen das Fenster, danach gegen das zweite Fenster, zuletzt gegen die Tür, die auf die Terrasse führte. Einer der Flügel schwang auf, eine Hand im Handschuh hielt den Flügel fest, bevor er gegen ein Möbelstück oder die Wand stoßen konnte. Danach Ruhe. Dann schob sich die Gestalt in den Türrahmen, stand einen Schritt im Raum, sah sich um. Sie musste sich nicht an die schlechte Beleuchtung gewöhnen, sie kam ja aus dem Dunkel.
Die Gestalt stand am Bett, griff in ihre Jacke, hielt etwas in der Hand, wickelte es um den Hals der schlafenden Gestalt. Die Gestalt spannte sich, dann zogen die Arme die Schnur zu. EinGeräusch, ein leiser Schrei, die Gestalt fuhr zurück. Ihre leisen Worte klangen wie »um Gottes willen, um Gottes willen. Das ist doch nicht möglich.«
Die Tür zum Flur brach aus dem Rahmen, durch die Terrassentür drängten zwei weitere Gestalten, fünf Männer machten sich über den Mörder her und verdroschen ihn, dass es eine Freude war. Boff saß auf dem Sofa und schaute dem Schauspiel zu. Die Decke lag neben ihm. Seine Hilfe war überflüssig, die Männer hatten den Mörder längst am Boden und prügelten nur noch, weil es ihnen Freude bereitete.
Boff klatschte in die Hände und rief: »Es reicht, ihr habt euren Spaß gehabt!«
Fünf Minuten später war das Wohnzimmer so hell erleuchtet, als würde hier eine Gesellschaft bewirtet. Auf dem Stuhl saß in verdrehter Haltung Roderich Hoppe, der vor einigen Wochen Tänzer halbtot geprügelt hatte und heute sein Werk zu Ende bringen wollte.
Zum wiederholten Mal bestätigte Boff dem unentwegt nachfragenden Rohwedder, wie sehr sich der Mörder erschreckt hatte, wie sehr er zusammengezuckt sei, zurückgeprallt, außer sich vor Entsetzen.
»Ach, das ist schön«, murmelte Rohwedder zufrieden. »Ich habe gewusst, dass es für ihn ein bleibendes Erlebnis ist, wenn ihm der Kopf vor die Füße rollt.«
Hoppe, mit verquollenem Gesicht und einem Auge, das nur noch ein Strich war, hörte entsetzt zu. Die fünf Männer lachten schadenfroh. Zwei Soldaten waren unter ihnen, Boff hatte darauf bestanden, weil er ihre Disziplin höher einschätzte als die Ausbildung der anderen.
Boff trat vor und befragte den Mörder. Er schlug ihn nicht, berührte ihn nicht einmal. Hoppe antwortete, ohne sich ein einziges Mal dumm zu stellen. Dass er im letzten Jahr bei einemHeiler in die Lehre gegangen war, berichtete er, ohne danach gefragt worden zu sein. Zu groß sei die Verzweiflung
Weitere Kostenlose Bücher