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Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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Gegensatz zu ihr war Boff nicht der Typ, um fremden Leuten so hartnäckig die Ruhe zu rauben. Aber weil es ihm wichtig war, tat er wie geheißen und stand bald im ersten Zimmer dem weitgehend unbekleideten Künstler gegenüber. Der tat so, als würde er an der Staffelei arbeiten. Es hätte überzeugender ausgesehen, wäre eine Staffelei vorhanden gewesen. Das wurde ihm wohl auch klar, er reagierte schnell und trug dieFarbe auf die Wand auf. Nebenan hörte man Rumoren. Boff hielt es für sehr wahrscheinlich, dass die Geräusche von einer Frau stammen könnten, die ihre Blößen mit Kleidungsstücken bedeckte, damit der unerwartete Besucher nicht auf Gedanken kam, die er dank Stine schon seit Tagen als Gewissheit mit sich herumtrug. Er hätte den Mann gern gefragt, warum die meisten Künstler so faul waren. Stattdessen blieb er sachlich und schilderte sein Anliegen. »Mein Besuch soll Euch nicht bedrohlich erscheinen«, versicherte er, »ich will Euch nur in Kenntnis setzen, welche Gedanken ich habe. Denkt in Ruhe darüber nach, ob in Eure Lebensplanung eventuell eine räumliche Veränderung passen könnte.«
    »Wie viel?«
    »Pardon?«
    »Wie viel zahlt Ihr mir dafür?«
    »Ich verstehe nicht. Wofür sollte ich bezahlen?«
    »Wenn ich ausziehe?«
    »Ihr meint, wenn Ihr zügig auszieht?«
    »Zügig, zur Not zügig.«
    »Wie schnell ist für Euch zügig, wenn ich fragen darf?«
    »Zügig kann schnell sein.«
    »Verstehe. Sehr zügig wäre demnach sehr schnell.«
    »So sehe ich das.«
    »Wie wäre es mit morgen?«
    »Darüber muss ich nachdenken.«
    »Wie lange?«
    »Bis … morgen?«
    »Ihr denkt in aller Ruhe bis morgen nach und seid dann bis abends raus. Können wir uns darauf einigen? Ich besorge die Träger und bezahle sie. Ich zahle auch die erste Miete in der neuen Wohnung.«
    »Die ersten beiden Mieten.«
    »Oder so.«
    »Und eine eingehende Untersuchung.«
    »Ich bin Frauenarzt.«
    »Ich sage es nicht weiter.«
    Sie schüttelten sich die Hände. Boff wollte nicht darüber nachdenken, was diese verschwitzten Hände vor zehn Minuten angefasst haben mochten. Aber er glaubte es zu wissen, auch wenn nebenan in diesem Moment nichts Schweres zu Boden gestürzt und ein wenig damenhafter Fluch ausgestoßen worden wäre.

31
    Er nannte sich »Zahnpriester«, geboren war er vor dreißig Jahren im Harz als Sigmund Pups. Zwei seiner Geschwister waren dem Luchs zum Opfer gefallen, die Mutter den Wölfen. Der Vater war von einem wütenden Keiler aufgeschlitzt worden. Mit acht war er Vollwaise. So wurde der Knabe Sigmund früh auf grausige Weise mit Zähnen bekannt. In seiner Jugend zog er in die Wälder und richtete dort Blutbäder an. Als er spürte, dass ein Leben zu kurz war, um das Bedürfnis nach Vergeltung in die Tat umzusetzen, zog er über die Märkte, denn das Leben an einem festen Ort machte ihn nervös. Er spielte mit Gauklern, jonglierte, überquerte Plätze und Flüsse auf dem Seil, stürzte ab und wurde von einem Mann gesund gepflegt, der zwischen Kassel und Göttingen als Zahnreißer berüchtigt war. Sigmund begleitete ihn, baute Bühne und Behandlungsstuhl auf, den der Zahnreißer benötigte, und pflegte die Bohrer, Zahnschlüssel, Zangen. Sein Mentor war kein junger Mann mehr, als sich seine Schultergelenke versteiften, übernahm Sigmund die Tätigkeiten, die die meiste Kraft erforderten. Er wurde praktisch der Zahnreißer, obwohl die Männer ihre Vorführung so inszenierten, dass Vorbereitung, Nachbereitung und Kommentierung der Operation vom Älteren in Form eines theatralischen Monologs vorgetragen wurden.
    Früh hatte der Mentor begonnen, Bücher, Illustrationen und Gemälde zusammenzutragen, in denen es um die Geschichte der Zahnbehandlung ging. Ein Schlaganfall lähmte den Mentor, ohne Sprache und ohne Kontrolle über seine Gesichtsmuskeln zog er sich von den Menschen zurück und schrieb in den letzten Jahren seines Lebens ein umfangreiches Werk über das Thema seines Lebens. Alles, was er hinterließ, erbte Sigmund.
    Der lebte zeitweise vom Verkauf einzelner Kunstwerke an Sammler, heiratete und verlor seine Frau an einen Räuber, der nördlich von Frankfurt gefürchtet war und die Zahnsammlung stahl. Die Ehefrau nahm er auch mit. Zwei Jahre suchte Sigmund verbittert Frau und Kunst. Er gab auf, nachdem er in einem Gasthaus einen Menschen erschlagen hatte. Schockiert über seinen Wutanfall, beschloss er, künftig ein beherrschtes Leben zu führen. Seitdem zog er als Zahnreißer umher. Was an Geld übrig

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