Doctor Boff - Weiberkranckheiten
bei einem Heiler in die Lehre gegangen wäre. Man kannte den Namen dieses Heilers, der Mann war dumm genug gewesen, auf dem Rathaus aufzutauchen und sich zu der Tat zu bekennen. Allerdings bestritt er, dass es sich um eine »Tat« handelte. Er verwendete die Ausdrücke »Schule« und »Lehre«. Er begriff nicht, dass sein Leben in diesem Moment praktisch verwirkt war. Er wohnte in einem einsam stehenden Haus zwischen Stadtgrenze und Ammendorf im Süden. Man notierte alles säuberlich und hielt ihm bei seinem Abgang die Tür auf, damit er nicht denselben Drücker berührte, den anständige Leute anfassten.
Die Teilnehmer der nächtlichen Gesprächsrunden kamen im kleinen Sitzungssaal zusammen. Es roch nach Braten und kaltem Zigarrenrauch. Eine empfindsame Seele versprühte Eau de cologne. Jetzt roch es nach Freudenhaus.
Keiner mochte die Heiler, jeder kannte Geschichten über kriminelle Zahnreißer und Wundärzte. Sie waren so schlimm wie Zigeuner. Wo sie auftauchten, konnte man gleich den Büttel rufen, weil er in Kürze Arbeit kriegen würde. Niemand bestritt, dass viele Menschen zu den Pfuschern gingen – aber nur, weil sie keine andere Wahl hatten. Die Menschen waren arm und unwissend, sie lebten auf dem Land und kannten keine richtigenMediziner. Es gab auch weniger studierte Ärzte als Scharlatane. Beide Gruppen von Ärzten kamen sich kaum jemals ins Gehege, denn jeder hatte seine festen Kunden, die seit langem zu ihm gingen und auf seine Kunst schworen.
»Alles schön und gut«, sagte der Arzt Sattler, »im Einzelfall mögen sie sogar einen Erfolg erzielen. Aber den erzielt auch jedes Kräuterweib, wenn sie ihre Warzen reibt und auf gut Glück ein Kraut empfiehlt. Sie behandeln nach dem Motto: Was euch nicht umbringt, wird euch möglicherweise heilen. Und bevor ihr von allein gesund werdet, wedeln wir mit Blättern über einem Feuer, damit ihr beeindruckt seid. Wer beeindruckt ist, denkt nicht. Wer Schmerzen hat, kann nicht mehr denken. Und seien wir ehrlich, Freunde: Die meisten Kunden der Heiler können auch ohne Schmerzen nicht denken.«
37
Im Rathaus hatten die mahnenden Stimmen den Eiferern ein wenig Wind aus den Segeln genommen und ihnen eine Zurückhaltung nahegelegt, die ihnen im Grunde zuwider war. Aber es gab andere Orte, an denen die Mahner fehlten; Orte, an denen die Interessen der Männer am Tisch sehr ähnlich waren. Wo in diesen Tagen zwei akademische Mediziner zusammensaßen, gab es nur ein Thema: Wie machen wir uns die aktuelle Stimmung in der Stadt zunutze? Es gab besonnene Mediziner, aber die waren nicht gefragt und hielten sich spätestens dann zurück, wenn sie sich zum ersten Mal eine blutige Nase geholt hatten. Zahlreiche Mediziner wollten die Gelegenheit nutzen. Die Stimmung in der Stadt war gegen die Heiler eingestellt. Man hasste sie nicht und warf ihnen keine Verbrechen vor, aber man war doch irritiert, dass so viele wichtige Menschen aus dem Rathaus gegen die Heiler sprachen. Natürlich wusste man, dass der Mörder des alten Stadtphysicus ein Heiler gewesen war. Und dabei war es nicht wichtig, ob er seit einem Jahr ein Heiler war oder seit zwanzig Jahren. Es war nicht einmal wichtig, ob er einen einzigen Menschen kuriert hatte. Er hatte eine Lehre zum Heiler absolviert und gehörte damit zur gegnerischen Gruppe.
»Das Feuer glimmt«, sagte ein zufriedener Sattler, dem in den letzten Tagen die Rolle des Meinungsführers zugewachsen war, der er bereitwillig nachkam. Seine Praxis war auch nicht so überlaufen, dass sie seine gesamte Zeit gefordert hätte. Er hatte halb so viel zu tun wie Boff.
»Das Feuer glimmt, es liegt an uns, die Flamme mit Luft zu versorgen, damit sie wächst und wächst. Jeder Heiler, den wir entfernen, schafft Platz für einen von uns. Wer weiß, wann sich zum nächsten Mal die Gelegenheit ergibt. Wer weiß, ob sie sichüberhaupt jemals ergibt. Diese Heiler sind wie Unkraut, sie sind unterirdisch kreuz und quer verzweigt, es ist unmöglich, sie mit Stumpf und Stiel auszurotten. Aber wir können sie schwächen, die Gelegenheit hatten wir noch nie. Passt auf, Kollegen, eines Tages werden wir dem neuen Stadtphysicus noch dankbar sein. Im Grunde erledigt er unsere Arbeit. Nur weil er getan hat, was er getan hat, sitzen wir hier zusammen. Er ist für unseren Zusammenhalt verantwortlich. Ich hebe das Glas auf Albrecht Boff, den tadellosen Mediziner, zu dem die Frauen laufen, als würden sie bei ihm neben ihrer Gesundheit noch einen Kuss bekommen.«
Ein
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