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Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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einen Fehler.
    Einen Zuhörer gab es, der bis zuletzt stänkerte und mit seinen Nachbarn flüsterte.
    Gebeten, sich offen zu äußern, sagte der Flüsterer: »Habt Ihr schon daran gedacht, was Ihr tut, wenn sich alle akademischen Mediziner entschließen, als Heiler zu arbeiten?«
    Boff entgegnete: »Habt Ihr versucht, einen Monat mit dem Geld zu leben, das ein Heiler einnimmt? Wisst Ihr nicht, dassdie Akademiker eine Gemeinsamkeit haben: Zu ihnen gehen die reichen Bürger. Wer sollte wohl scharf darauf sein, diesen Vorteil künftig nicht mehr zu haben?«
    Und dann stieg die Zeitung ein. Dreimal in der Woche erschien die Hallesche Zeitung. Sie erfreute ihre Leser mit einer Mischung aus lokalen Nachrichten und erbaulichen Texten. Manchem schliefen bei der Lektüre die Füße ein, aber Neugier war die beste Verbündete des Blatts. Der Artikel über den Stadtphysicus stellte in mehr als einer Weise eine Premiere dar. Mit Ausnahme von Gewaltverbrechen und ihrer Aufklärung war in der Vergangenheit nicht über Konflikte innerhalb der Bürgerschaft berichtet worden. Die Regierung war gut und weise; Übertretungen von Gesetzen begingen Auswärtige oder Verbrecher, die von Natur aus schlecht waren; Seuchen wurden dem Menschen als Schicksal bestimmt; Brände und Feuersbrünste waren unvermeidlich; wenn die Saale über die Ufer trat, musste das hingenommen werden. Die ewige Wiederholung nahm Katastrophen die Schärfe und ordnete sie als Teil eines unabänderlichen Schicksals ein.
    Offene Worte über einen Stadtphysicus hatte es noch nie gegeben. Bisher war er in der Zeitung nur als hervorragender Vertreter der öffentlichen Daseinsvorsorge benannt worden. Jetzt stand der Stadtphysicus mitten im politischen Getümmel. Der Artikel nahm eine komplette Seite ein. Gezeichnet war er mit »Jost van Gallop«. Es begann sachlich, aber nach dem ersten Absatz war damit Schluss. Ohne einen einzigen Satz, der als direkter Angriff auf den Stadtphysicus gelesen werden konnte, stand Boff als Verbündeter der verhassten Heiler dar. Diese Absätze ließen die Vermutung zu, dass es sich bei Jost van Gallop, den in Halle niemand kannte, um einen Mediziner handeln müsse. Doch ging die Anklage weit über die Zusammenarbeit zwischen alter und neuer Medizin hinaus. Boff stand da als jemand, der von außen geschickt worden war, umder Stadt zu schaden. Die große und fortschrittliche Universitätsstadt erschien als Ort, an dem es drunter und drüber ging; als Ort, an dem jeder tun konnte, wonach ihm der Sinn stand, und wo es an Männern mangelte, die den Schädlingen in den Arm fielen.
    Der letzten Sätze lauteten: »Man baut nicht fünfhundert Jahre etwas auf, das man dann innerhalb weniger Wochen beschädigt. Die Heiler in dem Haus der alten Medizin mögen anständige Männer sein. Aber sie stehen für ein unanständiges Leben, für Betrug, Blenderei, Hochstapelei und Verstümmelung vieler Bürger. Diejenigen, die in Halle Verantwortung tragen, werden sich besinnen. Oder die Bevölkerung wird ihnen die Entscheidung aus der Hand nehmen. Spätestens dann wird ein großes Wehklagen ausbrechen. Es ist noch nicht zu spät.«
    Wer lesen konnte, hatte den Artikel bis zum Abend gelesen. Wer nicht lesen konnte, ließ sich das Wichtige zusammenfassen.
    Mittags war Boff auf dem Rathaus. Er bat um Bestätigung, dass Jost van Gallop nicht in Halle lebte und kein Arzt sei. Er fragte nach Namensgleichheiten in benachbarten Orten, die sich aber nicht finden ließen. Boff sagte: »Jemand versteckt sich hinter einem falschen Namen, weil er ein Feigling ist. Jedermann wird zugeben, dass die akademischen Mediziner den größten Vorteil hätten, wenn ich meine Entscheidung rückgängig mache. Daher behaupte ich: Jost van Gallop ist ein Arzt. Er hatte nicht den Schneid, mir seine Meinung ins Gesicht zu sagen. Er reißt sein Maul hinter einer Maske auf. Das ist das eine. Das andere ist, dass in der kommenden Woche die Hebamme Hermine Hoffknecht eine Praxis im Haus eröffnen wird. Zwanzig angesehene Bürgerinnen der Stadt haben sich für Hermine verwandt. Ich übergebe Euch das Schreiben, in dem sie bestätigen, mit Hermine die allerbesten Erfahrungen gemacht zu haben und sie jeder Schwangeren wärmstens empfehlen können. Dieser Brief wird in der nächsten Ausgabe derZeitung erscheinen. Da es Grund zur Vermutung gibt, dass dies unter einem fadenscheinigen Vorwand verhindert werden wird, werde ich den Brief als Anzeige aufgeben. Sollte die Zeitung sich immer noch weigern,

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