Doctor Boff - Weiberkranckheiten
nuschelig aus. Aber der Papagei machte keine Scherze auf seine Kosten, stattdessen erzählte er der Menge vom Sinn einer Narkose, die dem Menschen hilfreich unter die Arme greift.
Der Folterer teilte dem Bürgermeister mit, dass er jetzt stark sein müsse und starken Willen zeigen. Mit jedem Besuch beim Zahnreißer werde es besser werden. Wer noch dreißig Jahre Leben vor sich habe, solle in einer stillen Minute ausrechnen, wie viele Tage in dreißig Jahre hineinpassten und wie viele Schmerzen in diese Zahl von Tagen. Der Bürgermeister rechnete zehnmal und kam auf zehn verschiedene Zahlen. Er schloss die Augen. Die Hände, die sich in das Leder der Lehnen gepresst hatten, lagen locker darauf.
Irgendwann war es überstanden. Weil es unmöglich war, dass tausend Menschen in ein einziges Maul schauten, kam es auf den Bürgermeister an. Wie würde er aussehen, wenn er sich erhoben hatte? Würde er aus eigener Kraft auf die Beine kommen? Würde er weinen, fluchen, klagen?
Dann stand der Bürgermeister und sprach die Worte: »Es ist besser als befürchtet. Ich glaube, ich gehe noch einmal zu ihm.«
»Ihr könnt den Kerl empfehlen?!«, krähte der Papagei. Und obwohl er sich so albern gab und die Frage gar nicht wie eine Frage klang, kam jetzt alles auf die Antwort an. DerBürgermeister schlug dem Zahnreißer auf die Schulter. Mehr tat er nicht. Lange Zeit nach dem Ende der Ritter hatte Halle wieder einen Ritterschlag erlebt.
Danach griff der Akademiker zu den Instrumenten. Der fidele Greis machte ein Kunststück vor: wie ein an sich schon kleiner Mann sich auf die halbe Größe zusammenrollen kann. Der Akademiker forderte ihn auf, sich nicht so anzustellen. Was die Leute von ihm denken sollten! Wie er dabei arbeiten solle! Ob er etwa den Kopf seines Patienten unter den Arm klemmen müsse? Der Papagei wiederholte keinen Satz, er stand daneben und wies mit beiden Armen auf den Akademiker. Der Greis öffnete den Mund, die studierten Hände begannen zu arbeiten. Niemand sagte ein Wort. Als der Papagei eine Frage stellte, sagte der Arzt: »Wenn ich arbeite, kann ich nicht auch noch reden.«
Diese Worte wiederholte der Papagei: »Wenn! ich! arbeite!, kann! ich! nicht! auch! noch! reden!«
Nach fünf Minuten war alles vorbei. Ein Zahn klemmte in der Zange. Praktisch war er nicht gezogen worden, sondern abgepflückt, so locker hatte er gesessen.
Die zweite Vorführung war eine ernüchternde Angelegenheit gewesen. Kein Geschrei, kein hörbarer Schmerz, aber die Ausstrahlung des Akademikers hatte eine verheerende Wirkung auf die Menge, in der in diesen Sekunden mehr als ein Hallesches Medizinergesicht gramvoll hinter zwei Händen verschwand.
Der Mann neben dem Mann mit der Narbe murmelte: »Ich will gar nicht wissen, wie viel Geld uns dieser Mensch in fünf Minuten gekostet hat.«
»Zieht ihm doch zur Strafe einen Zahn!«, schlug ein Umstehender frohgemut vor. Viele lachten, der Mediziner lachte nicht mit.
»Das tut Ihr nicht«, murmelte der Mann mit der Narbe. »Denkt nicht einmal dran. Das ist unchristlich.«
»Vom Frommsein kann ich mein Essen nicht bezahlen, und den Trick mit der Speisung der Fünftausend habe ich niebegriffen«, entgegnete der Mediziner missmutig und schritt in einen trostlosen Abend davon.
Die Menge verlief sich, nach zwanzig Minuten war der Platz leer bis auf einige Grüppchen, die angeregt plauderten. Der Stadtphysicus hatte das Gespräch mit dem akademischen Zahnarzt gesucht, aber nicht gefunden. Der Mann hatte den Platz diagonal überquert und auch beim Abgang die Zielstrebigkeit gezeigt, mit der er bei der Behandlung des alten Mannes die Interessen seiner Kollegen an die Wand gefahren hatte.
Boff stand mit Sigmund Pups zusammen, zwei Paare waren bei ihnen und auch die Witwe des alten Stadtphysicus.
Der Zahnreißer wies eine Handvoll Zettel vor. Es handelte sich um die Namen von Zuschauern, die sich für einen der folgenden Tage angekündigt hatten. Laut Pups hatte ihm eine dreimal so große Zahl die Hand geschüttelt, und einige hatten ihm gestanden, dass sie des Schreibens nicht kundig wären. Ob er sie trotzdem drannehmen würde? Man sprach über die Zähne des Bürgermeisters. Pups äußerte sich zurückhaltend, doch jedem war klar, dass er schreckliche Dinge gesehen haben musste.
»Bei solchen Zähnen wundere ich mich weniger, was für eine Politik im Rathaus gemacht wird. Ich plädiere dafür, dass künftig jeder Ratsherr eine Gesundheitsprüfung absolviert. Was haltet Ihr
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