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Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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Geschäftsgebaren des Grafen, auf die er gern verzichtet hätte. Er ging nicht darauf ein, spielte alles herunter. Die Gräfin sah ihn prüfend an, ihr Blick war wach und hell. So gesund war sie noch nie gewesen.
    Sie sagte: »Ich denke, du hast die richtige Wahl getroffen, als du dich für die Krankheiten der Weiber entschieden hast.«
    »Weil die Frauen die freundlicheren Krankheiten haben?«
    »Wenn du damit meinst, dass sie Gefühle haben und manchmal sogar auf sie hören, dann ja.«
    »Männer haben es nicht leicht. Männer müssen hart arbeiten. Ich habe Männer gesehen, die verbraucht waren, als sie noch keine dreißig Jahre hatten.«
    »Von wem sprichst du? Von Bergleuten wohl.«
    »Und von Bauern, von Soldaten, Handlangern, von manchem Handwerker, nehmt die Steinhauer oder die Schmiede. Jeder, der schwere Lasten bewegen muss. Es ist schwer, mit Tieren zu arbeiten. Ein Bote, der viele Meilen auf dem Pferd zurücklegt, arbeitet hart.«
    »Nur die Künstler nicht, die sind faul.«
    »Dafür habe ich bei denen eine besonders niederschmetternde Art von Armut angetroffen. Künstler können so arm sein, ärmer als ein Tagelöhner. Wie ein Bettler. Nur dass sie für dieses Leben nicht gemacht sind.«
    »Müssen wir uns Gedanken über Künstler machen?«
    »Ihr denkt an die Weiberkrankheiten.«
    »Ich denke einfach, wenn ich ein Mann wäre, hätte ich es leichter. Alles, was mich quält, würde einen Mann nicht quälen. Nicht weil er dümmer ist oder klüger oder stärker oder ein schlechteres Gedächtnis hat. Sondern weil er ein Mann ist. Vielleicht ist das die Antwort auf meine vielen Fragen: Ich quäle mich, weil ich eine Frau bin.«
    »Das, was einer erlebt und vergisst, weil er mit dem Wissen nicht leben kann, muss nicht nur Frauen treffen.«
    »Das Ereignis an und für sich kann beide treffen, da hast du recht. Aber wie man damit umgeht … Ich würde gerne leichter nehmen, ich bin nicht stolz darauf, dass ich mich so quäle.«
    »Aber Ihr müsst Euch auch nicht dafür entschuldigen.«
    »Weißt du, dass ich dich beneide? Du verkehrst an allen Schauplätzen des Lebens. In der Praxis siehst du Frauen aus allen Schichten. Wenn du Hausbesuche machst, betrittst du stinkende Hütten und vornehme Salons. Du bist in der Medizin zu Hause und in der Politik. Immer abwechselnd, manchmal gleichzeitig. Du tust, wonach dir ist, und niemand könnte dich daran hindern. Manchmal denke ich, das hätte mir gefallen.«
    »Ärztin zu sein?«
    »Politikerin zu sein vor allem. Bürgermeisterin von Halle! Das hört sich doch nach etwas an! Jetzt denkst du bestimmt: Das alte Mädchen redet Kokolores.«
    »Vielleicht kommt eines Tages die Zeit … Ich denke schon, dass sie kommen wird. Es sei denn, wir wollen es für ein Gesetz der Natur halten, dass die Hälfte der Menschheit zwischen Küchen und Schlafzimmern hin- und hergeht.«

43
    Es kam der Tag, an dem nicht länger zu verleugnen war, dass in der Stadt ein wichtiges Gleichgewicht nicht mehr funktionierte. Doctor Boff hatte es gespürt, denn die an sich schon kaum zu bewältigende Zahl seiner Patientinnen hatte sich in wenigen Tagen fast verdoppelt. Selbst Stine in ihrer unerschütterlichen Art raufte sich die Haare und murmelte: »Es geht nicht mehr. Es würde nur gehen, wenn ich zwei Frauen auf einmal zu ihm hineinschicke.«
    Wer in diesen Tagen in Halle zu einem Arzt ging, richtete sich nach den Berichten in der Zeitung und wählte danach aus. Die Folgen waren einleuchtend und dramatisch. Es gab Heiler, die keine Kunden mehr hatten. Und es gab Heiler, die unter zu viel Arbeit ächzten. Da diese Ärzte allein arbeiteten und über keine Hilfe bei der Organisation der Praxisabläufe verfügten, taten die vielen Patienten ihnen gar nicht gut. In ihrer Nähe herrschten Unruhe und Gereiztheit. Man schrie sich an und drängelte. Die Heiler konnten nicht mehr so sorgfältig arbeiten, wie sie es gewohnt waren. Nach wenigen Tagen merkten sie es selbst, vor allem merkten es die Patienten: Die Qualität des Heilers hatte nachgelassen. Man beklagte sich, marschierte mit den Beschwerden zum Heiler und legte seine Arbeit lahm, denn er musste mit vier Menschen gleichzeitig sprechen, bekam Wutanfälle zu hören und wurde selbst wütend. Die erste Frau brachte ihren Mann mit, damit er sie gegen die anderen Frauen beschützte. Aber der Beschützer traf auf einen zweiten Beschützer, den eine andere Frau mitgebracht hatte. Fäuste landeten in Gesichtern, brachen Nasen, zerrissen Jacken. Andere

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