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Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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er sich noch, vor Schmerzen vermochte er kaum zu denken. Dann hatten hin- und hereilende Boten alles vorbereitet. Auf den Bürgermeister wartete eine Kutsche. Aber seine freiliegenden Nerven reagierten auf die schaukelnden Bewegungen des Gefährts, als würde er pausenlos ausgepeitscht. So musste noch einmal der Schnaps herhalten. Zwei Schluckeberuhigten den Gepeinigten. Er schloss mit seinem Leben ab, gab sein Schicksal in Gottes Hand, dachte eine Sekunde darüber nach, warum ein Gott, der sich ›gnädig‹ nannte, auch die Zahnschmerzen erschaffen hatte. Dann wurde er bewusstlos.

41
    Als er erwachte, fand er sich auf einem Stuhl sitzend. Vor ihm gingen mehrere Männer hin und her, die er nicht kannte. Einer lächelte ihn an, der andere lächelte nicht, den erkannte er jetzt. Schneidewind, sein treuer Zahnreißer, der Mann, der davon träumte, nach Afrika zu reisen und einen Elefanten von Schmerzen zu befreien. Bei einem Gelage hatte er diesen Wunsch gestanden, denn Schneidewind war weitläufig mit der Frau des Bürgermeisters verwandt, weshalb der von dem Metzger nicht loskam, ohne dass seine Frau eingeschnappt gewesen wäre. Vor die Wahl gestellt: Zahnschmerzen oder eine zürnende Gattin, würde er schweren Herzens die Zahn… – der Bürgermeister fuhr in die Höhe! Das war doch gar nicht möglich! Er wollte doch genau diesen Metzger vermeiden und war doch gerade deshalb nach Wittenberg aufgebrochen …
    Ein fassungsloser Bürgermeister starrte auf die Menge zu seinen Füßen. Was er für das Summen von Insekten, Mücken, Bienen gehalten hatte, waren Hunderte Menschen, und das da waren die Türme und das Rathaus und alles sah aus wie …
    »Wie komme ich nach Halle?«, flüsterte er. »Was mache ich auf dem Markt? Was, um Gottes Willen, geschieht hier?«
    Eine Figur in schreiend buntem Kostüm sprang auf die Bühne und rief in die Menge: »Er ist wach, das Spiel kann beginnen!«
    Beifall hob an.
    »Verbeugen«, zischte der Papagei dem Bürgermeister zu. Der war so überrumpelt, dass er sich tatsächlich verneigte. Neben seinem Stuhl stand ein zweiter Stuhl, ein Mann saß auf ihm, klein, weißhaarig, unbekannt. Er lachte den Bürgermeister an und krähte fröhlich: »Möge der Bessere gewinnen!«
    Der Papagei erklärte der Menge die Regeln: zwei Zahnreißer, zwei Patienten. Der eine war Sigmund Pups aus dem Haus des Stadtphysicus. Er würde den Bürgermeister behandeln. Der andere war der Doctor der Zahnmedizin Hecht, aus Leipzig stammend, er hatte sein Leben den Zähnen gewidmet und werde alles, was er konnte, in der Mundhöhle des zweiten Patienten anstellen, der sich für einen geringen Lohn und eine warme Mahlzeit zur Verfügung gestellt hatte. Ein Name wurde genannt, den der Bürgermeister nicht verstand. Er verstand gar nichts mehr. Er war doch in die Kutsche gestiegen … die Kutsche war doch abgefahren … es war doch alles vorbereitet … das musste doch Theater sein.
    Aber er war in Halle, auf dem Marktplatz, die Menge reichte bis zu den Häusern im Hintergrund, und der Papagei erklärte den Sinn des Duells: Wer besser behandelte, wäre der bessere Arzt: der Heiler nach alter Art oder der Akademiker, der seiner Zeit fünfzig Jahre voraus war.
    »Ich will den Akademiker«, murmelte der Bürgermeister. Er wollte laut sein, rufen, schreien, aber er sprach so leise, er war noch nicht vollständig wiederhergestellt. Zur Not hätte er sogar den Schneidewind genommen, aber der war eingeschnappt, weil er übergangen worden war.
    »Wen wollt ihr als Ersten?«, bölkte der Papagei.
    Die Menge wollte den Bürgermeister. Niemand rief nach dem Zahnreißer, sie interessierte nur der Bürgermeister. Nun hätte der Mann, dem es schon schwer fiel, einen einzigen Menschen zu verprellen, es sich auf einen Schlag mit einem Marktplatz voller Menschen verderben müssen! Und wozu? Um zehn Minuten später doch im Stuhl zu landen! Denn das würde er, weil Flucht unmöglich war. Wenn er einen Fuß auf die Treppe setzte, die auf den Platz führte, war sein Leben in Halle beendet. Er wäre nicht nur sein Amt los, sondern auch das Bürgerrecht. Anspucken würden sie ihn, seine Frau würde ihn nicht mehr kennen, er hätte keine Freunde mehr. Er stand vor der Wahl:leiden oder sterben. So wählte er das Zweitschrecklichste, weil er das Allerschrecklichste noch mehr fürchtete.
    Der Bürgermeister ließ sich auf den Stuhl sinken. Er wusste nun, wie sich der Verurteilte fühlt, wenn er unter dem Galgen angekommen war. Der Papagei

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