Doctor Boff - Weiberkranckheiten
Tänzer braucht. Wer sich bereit erklärte, hatte leider Gottes oft eine Geschichte, die ihn nicht in die Endauswahl brachte. Ihr ahnt natürlich, worauf ich hinaus will.«
»Ihr braucht jemanden, der nicht vorbelastet ist. Was im Normalfall für einen Auswärtigen der entscheidende Nachteil ist, könnte sich diesmal als Vorteil erweisen. So etwa?«
Es war ein fast verliebter Blick, den der Bürgermeister Boff zuwarf. Bei diesem Auswärtigen kam in der Tat vieles zusammen: Er war Arzt, sogar Frauenarzt und konnte problemlos Tänzers Praxis so lange übernehmen, wie es sich als nötig erweisen würde. Er war in Halle nicht verwurzelt, besaß hier keine Freunde und keine Feinde. Es war schwer zu entscheiden, was der größere Vorteil war. Dennoch wäre Boff nicht in Frage gekommen, hätten sich nicht zwei Personen für ihn verwandt, deren gesellschaftliche Stellung es ausschloss, ihre Meinung zu überhören. Es war nicht Boff gewesen, der diese Namen ins Spiel gebracht hatte, wie von Boff bisher überhaupt keine Äußerung überliefert worden war, dass er Interesse anmelden könnte.
Der Bürgermeister nannte die beiden Namen, jeder in der Runde kannte sie. Jeder sah Boff mit anderen Augen, seitdem er wusste, dass der Arzt mit diesen Personen bekannt und mindestens in einem Fall vertraut war. Dem Fürstenpaar Seydlitz war er seit Jahren Ratgeber und Leibarzt. Was nicht bedeutete, dass er sich durchgehend oder auch nur überwiegend in ihrer Nähe aufhielt, wie es einen Leibarzt auszeichnet. Eine Kutsche war vom Halleschen Rathaus ins Fürstenschloss gerollt, Fürst und Fürstin hatten berichtet, was in ihrem übersichtlichen Hofstaatgeschehen war und wie sich Boff eingesetzt hatte. Sie führten die vier Bediensteten vor, die dank Boff aus dem Totenreich zurückgekehrt waren; erst, als die treuen Seelen außer Gefahr waren, hatte er sich um die Prinzessin gekümmert, keine Stunde früher. Sie hatte ihm deshalb Vorwürfe gemacht. Er hatte mit ihr gesprochen, einen Abend lang, seitdem stand Boff unter dem besonderen Schutz der Prinzessin. Sie nannte ihn einen »Gott«, ein Wesen, das nicht von dieser Welt war, einen Menschen, der die Macht hätte, Leben zu erhalten – ohne Dank zu erwarten, ohne Lohn anzunehmen, ohne ein Wort zu verlieren.
Was Boff mit den Angehörigen des Hofstaats angestellt hatte, erfuhren die Besucher aus Halle nicht. Es hatte mit Messern zu tun, mit Stahlklingen und Binden, mit Sägen und Stellschrauben, zuletzt mit Fläschchen, die der Patient austrank und danach weder Angst noch Schmerz verspürte. Er schlief dann traumlos und erwachte nach zwei Tagen wie nach einer Kur in Karlsbad. Es hatte mit Operationen zu tun, was Boff tat. Aber er war kein Chirurg wie andere Chirurgen, die Metzger waren und eher einem Henker ähnelten als einem Mann mit heilenden Händen. Niemand durfte ihm zusehen, er brachte einen Assistenten mit, einen blutjungen Mann, fast noch zu jung, um als Erwachsener durchzugehen. Dieser Assistent redete viel und laut, und erst wenn Boff ihm befahl, das Maul zu halten und die Tür zu schließen, begann das, was Boff und Assistent den Kranken antaten. Nur ein Knecht durfte dann noch den Raum betreten und heißes Wasser neben die Tür stellen. Was er aufschnappte, hatte ihn blass gemacht. »Das ist alles nur ein Traum«, hatte er gemurmelt und sich geweigert zu verraten, was er gesehen hatte.
Am Ende waren vier Menschen, die mehr tot als lebendig gewesen waren, durchs Schloss und über den Schlosshof gesprungen. Einer der vier hatte gehinkt, aber nur, weil er ein Bein verloren hatte, worüber er nie klagte, denn alle vorher befragten Heiler hatten ihm Beileid gewünscht, als sei er bereits tot.
Boff war geblieben, solange seine Anwesenheit nötig war, dann war er gefahren, bei Nacht und heimlich. Der Assistent war geblieben und mit ihm diese patzige Pflegerin, die Boff hinterlassen hatte, die keiner mochte, weil sie allen über den Mund fuhr, nur den Patienten nicht, denen sie über Wangen und Stirn strich mit einer Zärtlichkeit, als würde sie sie lieben. Auch diese Person verschwand aus heiterem Himmel, aber sie wollte vorher bezahlt sein, wie es Boff dem Fürstenpaar auch mitgeteilt hatte.
»Ihr überlasst nichts dem Zufall«, sagte Boff lächelnd.
»Wir wären ja blöd«, krähte der Bürgermeister vergnügt.
Nun übernahm Bernhard Cassian, der den wichtigen Ausschuss leitete, und fragte: »Wollt Ihr für uns den Stadtphysicus geben, so lange wie es die Krankheit unseres
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