Doctor Sleep (German Edition)
Probleme ist.« Sie erläuterte die Einzelheiten, was nicht lange dauerte. Am Ende sagte sie: »Sag Abra nichts, cara . Ich hab Dutzende E-Mails von ihr bekommen, sogar einen richtigen Brief, und es hört sich ganz so an, dass sie im Sommerlager viel Spaß hat. Später hat sie noch genügend Zeit zu erfahren, dass ihre alte Momo den Löffel abgibt.«
Wenn du wirklich glaubst, dass ich ihr das erst sagen muss …, dachte Lucy.
»Auch ohne übersinnliche Fähigkeiten kann ich mir schon vorstellen, was du denkst, Liebes, aber vielleicht wird sie diesmal von schlechten Nachrichten verschont.«
» Vielleicht«, sagte Lucy.
Sie hatte kaum aufgelegt, als das Telefon läutete. »Mama? Mami?« Es war Abra. Sie weinte. »Ich will nach Hause kommen. Momo hat Krebs, und ich will nach Hause kommen.«
3
Nach ihrer Rückkehr aus Camp Tapawingo in Maine bekam Abra eine Vorstellung davon, wie es wäre, zwischen geschie denen Eltern hin- und herzupendeln. Gemeinsam mit ihrer Mutter verbrachte sie die letzten beiden Augustwochen und die erste Septemberwoche in Chettas Wohnung in der Marlborough Street. Ihre Hüftoperation hatte die alte Dame ganz gut überstanden, und sie hatte sich gegen einen längeren Krankenhausaufenthalt und gegen jede Behandlung des Bauchspeicheldrüsenkrebses entschieden, den die Ärzte entdeckt hatten.
»Keine Tabletten, keine Chemotherapie. Siebenundneunzig Jahre sind genug. Und was dich angeht, Lucia, erlaube ich dir einfach nicht, die nächsten sechs Monate damit zu verbringen, mich mit Essen, Pillen und der Bettpfanne zu versorgen. Du hast eine Familie, und ich kann mir eine Ganztagespflege leisten.«
»Du wirst das Ende deines Lebens bestimmt nicht unter Fremden verbringen«, sagte Lucy mit ihrer Befehlsstimme. Wie Abra und deren Vater wussten, war es sinnlos, dieser Stimme zu widersprechen. Nicht einmal Concetta war in der Lage dazu.
Dass Abra dablieb, war unmöglich; am 9. September sollte sie in die achte Klasse der Anniston Middle School eintreten. David Stone befand sich in seinem Sabbatjahr, das er dazu nutzte, ein Buch zu schreiben, in dem er die wilden Zwanziger mit den hippen Sechzigern verglich, und deshalb pendelte Abra eben – wie eine ganze Reihe der Mädchen, mit denen sie im Sommerlager gewesen war – zwischen den beiden Elternteilen hin und her. Die Woche über war sie bei ihrem Vater. Am Wochenende reiste sie nach Boston, um bei ihrer Mama und ihrer Momo zu sein. Sie dachte, schlimmer könne es nicht mehr werden … aber es konnte immer schlimmer werden, und oft tat es das auch.
4
Obwohl er nun zu Hause arbeitete, machte David Stone sich nie die Mühe, zum Briefkasten zu gehen, um die Post zu holen. Seiner Meinung nach handelte es sich bei der amerikanischen Post um eine rein bürokratische Institution, die zur Jahrtausendwende endgültig jede Bedeutung verloren hatte. Ab und zu kam zwar ein Päckchen, manchmal Bücher, die er für seine Arbeit brauchte, öfter etwas, was Lucy aus einem Katalog bestellt hatte, aber abgesehen davon war alles nur Werbemist.
Wenn Lucy zu Hause war, holte sie die Post aus dem Briefkasten am Gartentor und sah sie während ihrer Kaffeepause am Vormittag durch. Tatsächlich war das meiste Mist und kam direkt in die Rundablage, wie David den Papiermüll bezeichnete. In diesem Jahr war Lucy Anfang September allerdings nicht daheim, weshalb Abra – nun nominell Frau des Hauses – den Briefkasten leerte, nachdem sie aus dem Schulbus gestiegen war. Außerdem spülte sie Geschirr, wusch für sich und ihren Dad zweimal pro Woche die Wäsche und stellte den Staubsaugerroboter an, wenn sie es nicht vergaß. Diese Aufgaben erledigte sie klaglos, weil sie wusste, dass ihre Mutter ihrer Momo half und dass das Buch ihres Vaters eine sehr wichtige Sache war. Diesmal war es, wie er sagte, ein populärwissenschaftliches, kein akademisches Werk. Wenn es erfolgreich werden würde, könne er vielleicht mit dem Unterrichten aufhören und sich ganz dem Schreiben widmen, zumindest eine Weile.
An diesem Tag, dem 17. September, enthielt der Briefkasten einen Prospekt von Walmart, eine Postkarte zur Eröffnung einer neuen Zahnarztpraxis in der Stadt ( STRAHLENDES LÄCHELN GARANTIERT! ) und zwei Hochglanzbroschüren von örtlichen Immobilienmaklern, die Teilzeiteigentum am Ski-Resort Mount Thunder anpriesen.
Außerdem steckte eine Gratiszeitung im Kasten, die sich The Anniston Shopper nannte. Auf den ersten zwei Seiten enthielt sie ein paar Agenturberichte und in der
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