Doener, Machos und Migranten
muslimischen Familie vom keuschen Verhalten der weiblichen Familienmitglieder abhängig gemacht wird. Je weniger Freiheiten ein junges muslimisches Mädchen hat,desto geringer die Gefahr, ins Gerede der Verwandtschaft und des sozialen Umfelds zu kommen. Die soziale Kontrolle funktioniert bestens, und ein Großteil der Elternschaft der libanesischen Schüler ist in irgendeiner Form miteinander verwandt oder kennt sich untereinander. So kann es vorkommen, dass die Schwägerin einer Schülerin mit dem Bruder eines anderen Schülers verheiratet ist und Braut und Bräutigam zudem noch Cousins sind. Oder dass die Oma eines Schülers gleichzeitig die Schwiegermutter eines Bruders eines anderen Schülers ist. Also: Jeder kennt jeden.
Das mag sich zunächst einmal positiv anhören, doch die Kehrseite dieser Struktur ist die totale Kontrolle: Nicht «regelkonformes» Verhalten wird den anderen Familienmitgliedern mitgeteilt und gelangt den strenggläubigen Eltern umgehend zu Ohren. Die Vorstellung von «regelkonformem Verhalten» bewegt sich in den meisten libanesischen Familien in engen Grenzen. Viele von ihnen tun sich bereits sehr schwer damit, ihre Töchter ab einem Alter von etwa zwölf Jahren am Schwimmunterricht teilnehmen zu lassen. Leider muss die Schule solch starre Denkweisen hinnehmen und besitzt keinerlei Einflussmöglichkeiten. Schicken strenggläubige Eltern ihre Töchter nicht zum Schwimmunterricht oder mit auf eine Klassenfahrt, kann ein Lehrer wenig dagegen ausrichten. Oftmals wurde ich sogar schon von strengen Muslimen gefragt, ob es nicht möglich wäre, ihre Tochter ganz zu Hause zu lassen, da sie dort besser aufgehoben wäre. Hier jedoch greifen glücklicherweise die Gesetze zur allgemeinen Schulpflicht.
Nach den Erzählungen von Zabrin und ihrer Schwester Kouza mussten die beiden Mädchen viel im Haushalt und bei der Betreuung der jüngeren Geschwisterkinder helfen. Die Möglichkeit, sich nach Schulschluss mit Schulfreundinnen allein zu verabreden, gab es quasi nicht. Es sei denn, die Elternbesuchten sich untereinander und nahmen ihre Kinder mit. Doch Zabrins Eltern zogen es zumeist vor, Verwandte und Bekannte allein zu besuchen. Die Töchter mussten zu Hause bleiben und sich um die Geschwister kümmern. Die Eltern übertrugen ihnen also ein hohes Maß an Verantwortung, insbesondere wenn man bedenkt, dass die beiden Mädchen erst 12 und 14 Jahre alt waren. Verständlicherweise kam es während der Abwesenheit der Eltern immer wieder zu Streitereien unter den Geschwisterkindern, für die natürlich die beiden ältesten Töchter verantwortlich gemacht wurden. Nicht selten erhielten die beiden Mädchen Schläge von den Eltern.
Zabrins ältere Schwester Kouza sowie ihre drei jüngeren Brüder besuchten bzw. besuchen ebenfalls die gleiche Förderschule. Während des gesamten Fastenmonats Ramadan fastet die Familie – die Eltern ebenso wie die Kinder. Das heißt, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang wird nichts gegessen und getrunken, häufig zehn Stunden und mehr. Der vierwöchige Ramadan verlangt den Kindern eine unglaubliche physische und psychische Leistung ab. Während dieser Zeit war Zabrin sehr verschlafen und hatte Schwierigkeiten, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Kein Wunder, denn wenn man noch etwas essen und trinken wollte, musste man vor Sonnenaufgang aufstehen.
Es kostet mich stets große Überwindung, während des Ramadan nicht direkt auszusprechen, was ich davon halte. Zwar äußere ich meine Meinung, aber nicht direkt. Würde ich den Eltern sagen, dass ich es für Schüler unzumutbar finde, müsste ich mit massiven Angriffen rechnen. Wer sich in die religiösen Angelegenheiten einer streng muslimischen Familie einmischt, begibt sich auf sehr dünnes Eis. Damit würde ich das ohnehin schon geringe Vertrauen der streng religiösen Muslime verspielen.
Obwohl ich selbst während des Ramadan nicht im Klassenraum frühstücke, sondern nur im Lehrerzimmer – das allerdings vom Schulhof aus einzusehen ist –, bekommen meine Schüler automatisch mit, dass ich nicht faste. Natürlich sprechen sie mich darauf an. Ich flüchte mich nicht in eine Notlüge oder irgendwelche Ausflüchte, sondern stehe zu meinem Verhalten. Es löst jedes Jahr aufs Neue große Verwunderung aus. Meine Antwort lautet mal: «Ohne zu trinken kann ich nicht denken und dafür werde ich hier schließlich bezahlt», mal: «Es sollte jeder für sich entscheiden können, ob er fasten möchte oder nicht. Ich faste
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