Doener, Machos und Migranten
Familie nicht bereit ist, das Schuleigentum zu ersetzen, sind wir machtlos. Ich befürchte, dies war nicht die letzte Geschichte, die wir mit Hassans Familie erleben werden.
10. Cool – Ibrahim
Ibrahim und sein Vater saßen mir in der ersten großen Pause in unserem Trainingsraum gegenüber. Dieser Raum grenzt an das Schulleiterzimmer und das Lehrerzimmer. Leider verfügt die Schule aufgrund des Platzmangels über keinen eigenen Besprechungsraum, sodass Elterngespräche stets im viel zu kleinen Trainingsraum geführt werden müssen. Meist ist man auch hier nicht ungestört, weil sich hier der Lehrercomputer befindet.
Innerhalb von vier Wochen war Ibrahim fünfmal im Trainingsraum gelandet. Für diesen Fall sieht unser Schulkonzept bekanntlich zunächst ein Elterngespräch vor, bevor der Schüler oder die Schülerin wieder am Unterricht teilnehmen darf. Im Fachunterricht hatte Ibrahim durch Zwischenrufe, Albernheiten und Provokationen massiv gestört und zudem den Klassenraum unerlaubt verlassen. Merkwürdigerweise war Ibrahim auch in meinem Unterricht extrem albern und laut, doch erlaubte er sich bestimmte Verstöße nur bei denFachlehrern. Das lag mit Sicherheit daran, dass ich seine Klassenlehrerin war. Viele Schüler trauen sich gewisse Dinge nur bei ihren Fach- bzw. Vertretungslehrern. Außerdem hatte ich einen ganz besonders guten Draht zu Ibrahims Vater.
Ich kannte ihn nun schon seit zwei Jahren. Er akzeptierte mich als Respektsperson. Mehrfach hatte er seinem Sohn mit auf den Weg gegeben: «So eine Lehrerin wie die habe ich noch nie gesehen.» Damit spielte er auf meinen türkischen Hintergrund an. Bevor er in Kontakt mit mir gekommen war, hatte er wahrscheinlich nur die traditionell lebenden Türkinnen in seinem Wohnviertel in Gelsenkirchen-Rotthausen kennen gelernt.
Ein weiterer Grund für die Akzeptanz lag vermutlich auch an den Umständen eines Unfalls, den Ibrahim während des Sportunterrichts erlitten hatte. Beim Hallenfußball traf ihn der Ball versehentlich direkt ins Gesicht. Der Junge fiel um und blutete stark aus der Nase. Nachdem die Blutung aufgehört hatte, konnte ich seine Nase genauer in Augenschein nehmen: Sie sah arg verbogen aus. Jeder andere Schüler hätte geschrieen und wäre kaum zu beruhigen gewesen. Ibrahim allerdings war hart im Nehmen und wollte auf keinen Fall irgendwelche weiteren Versorgungsmaßnahmen über sich ergehen lassen. Er wollte noch nicht einmal, dass ich seine Eltern anrief. Dennoch bestand ich darauf. Vergeblich versuchten wir, seine Eltern zu erreichen. Ich zog den Schulleiter zu Rate, der ebenso wie ich einen Nasenbruch vermutete.
Also fuhr ich mit Ibrahim direkt zur Notaufnahme des benachbarten Marienhospitals. Der Junge war sehr blass und sprach entgegen seiner Art kaum noch. Anscheinend hatte er starke Schmerzen, die er sich als «Obermacho» von gerade mal zwölf Jahren natürlich in meinem Beisein nicht anmerken lassen wollte. Nachdem ein Oberarzt und zweiAssistenzärzte sich die Nase ansahen, bestätigte sich unsere erste Vermutung. Nasenbeinbruch.
Die Ärzte fragten mich nach den Umständen des Unfalls und der persönlichen Beziehung zwischen mir und dem jungen Patienten. Als klar wurde, dass ich Ibrahims Lehrerin und nicht seine Mutter war, scherzte einer der Ärzte: «Du hast aber ein hübsche Lehrerin.» Auf einmal kam wieder Leben in Ibrahim, denn eine solche Bemerkung konnte er mit seiner männlichen Ehre absolut nicht vereinbaren. Er konterte: «Das geht Sie gar nichts an.» Es gelang mir nicht, ein Grinsen zu unterdrücken. Wie konnte es ein fremder Mann in seinem Beisein wagen, seiner Lehrerin ein Kompliment zu machen! In der muslimischen Gesellschaft ein übler Fauxpas.
Nach der Behandlung fuhr ich Ibrahim mit meinem Auto nach Hause. Zum Glück war seine Mutter inzwischen vom Einkaufen zurückgekehrt. Als sie ihren Sohn sah, erschrak sie, denn er trug einen dicken Verband um die Nase. Auf Arabisch gab er ihr eine Kurzfassung der Geschehnisse. Ibrahims Mutter drückte ihren Sohn an sich und lud mich zu einem Kaffee ein. Da ich jedoch schon länger als gewöhnlich unterwegs war, drängte mich mein Gewissen, zu meinem Sohn nach Hause zu fahren. Also vertröstete ich Ibrahims Mutter mit der muslimischen Redewendung «Inschallah» – «beim nächsten Mal». Sie nahm nun auch mich in den Arm und begleitete mich noch bis zur Tür. Dieser Unfall Ibrahims hat mir, rückblickend gesehen, unverhofft eine große Anzahl an Pluspunkten bei der gesamten
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