Dönerröschen
Zwischen seinem Zimmer und dem Bad lief Dok immer nackt rum. Wie Anne früher auch. Wir sind zu Hause alle nackt rumgelaufen. Bis ich zwölf wurde. Zuerst hab ich angefangen, mich nach der Dusche schon im Badezimmer anzuziehen, dann Anne. Nur noch Dok machte bei uns auf Striptease. Dok war alles wurscht. Er würde hier auch nackt rumstolzieren, wenn wir Besuch hätten. Mein nackter Vater war also keine Überraschung für mich. Etwas anderes schockierte mich. Ich glotzte ihn an.
»Ich hab mich da unten rasieren müssen«, sagte er. »Ist hygienischer so.«
»Klar!«, sagte ich. »Hat dich Mama schon so gesehen?« Dok lachte und lief weiter ins Badezimmer. Huch! Zum Glück werde ich nie ein türkisches Mädchen zur Freundin haben. Oder konntest du einer Muslima einen solchen Vater zeigen? Plötzlich tauchten Sibel und Schnauze wieder in meinem Kopf auf. Ich ging in mein Zimmer, startete den Rechner und knallte eine Menge böse Transformer ab. Die Welt war irgendwie ungerecht zu mir, oder? Was hab ich den ganzen Türken samt Schnauze angetan, verdammt? Irgendwann fühlte ich mich ein bissl besser und so widmete ich mich vernünftigeren Tätigkeiten, als Transformer abzuknallen. Ich brachte Napoleons Facebookprofil auf Trab und verschickte für ihn ein paar Freundschaftsanfragen. Vor allem an Eisverkäufer, Bäcker, Konditoren und ähnliche Leute, die ihn interessieren könnten.
Entschleiern
»Anne? Warum sag ich Anne zu dir, wenn du eigentlich Linda heißt?«
Wir hockten in der Küche beim Frühstück. Dok war gerade von seiner Nachtschicht im PEP nach Hause gekommen und chillte jetzt, noch in seiner Nachtwächteruniform, mit einer Tasse Kaffee in der Hand. Zum Glück mit nur einem blauen Fingernagel. Bei meiner Frage warf er einen schnellen Seitenblick auf Anne.
Sie seufzte, fasste sich aber gleich wieder und guckte mir direkt in die Augen. Ich schaute nicht weg, auch wenn es schwierig ist, deiner eigenen Mutter in die Augen zu starren. Doch Dok meint, die Frauen mögen das. »Als du klein warst, hast du ein türkisches Mädchen zur Freundin gehabt«, sagte sie. »In den Ferien bei meiner Schwester Johanna. In Perlach. Oft warst du auch am Wochenende bei ihr. Unter der Woche hat dein Opa in Oberhaching auf dich aufgepasst. Wenn wir Konzerte gaben und unterwegs waren.«
»Mein Vater«, sagte Dok. »Bevor er gestorben ist.«
»Das weiß ich alles«, sagte ich. »Nur an die Ferien und die Wochenenden bei der Tante kann ich mich nicht so gut erinnern. Was war mit dem Mädchen?«
»Du hast mit ihr bei Johanna die ganze Zeit gespielt. Das hat uns Johanna erzählt. Sie wohnte in einem Haus mit einem großen Garten.«
»Ich habe bei Tante Johanna mit einem türkischen Mädchen gespielt?«
»Die Türkin hat bei Johanna geputzt und sich um den Garten gekümmert. Sie hat das kleine Mädchen immer mitgenommen. Das Mädchen …«
Plötzlich knallte ein Boller in meinem Kopf. »Das Mädchen hat nicht zufällig Sibel geheißen?«
»Glaube nicht«, sagte Dok. »Du hast sie Bebisch genannt.«
Uff! Erleichterung pur! Mann, oh, Mann! Wenn’s Sibel gewesen wäre, hätte ich hier in Neuperlach echt den Volltrottel rausgekehrt. Ach, egal! Hier war ich sowieso erledigt. Würde wohl besser jeden Tag nach Oberhaching radeln, dort hatte ich Freunde genug. Mit Lena und den Jungs in Oberhaching konnte ich auch kicken.
»Wir haben deine türkische Freundin nie gesehen. Meistens fuhr dich dein Opa zu deiner Tante, weil wir weg waren. Manchmal sind wir am Abend bei Johanna vorbeigekommen, da war aber die türkische Putzfrau nicht da. Deine Tante und sie waren gut befreundet. Obwohl sie Putzfrau war.«
Anne seufzte wieder. »Meine Schwester ist gestorben und du wurdest sehr krank damals. Wochenlang! Gehirnhautentzündung!«
»Wegen des Mädchens?«
»Nachdem meine Schwester gestorben war, wolltest du immer noch nach Perlach fahren, mit dem Mädchen spielen, aber das Haus meiner Schwester stand ja jetzt leer. Wir haben dich bei Opa in Unterhaching lassen müssen. Wir sind damals von Konzert zu Konzert gefahren. Dann hast du Fieber bekommen.«
»Bin ich echt wegen eines Mädchens krank geworden?«
»Du hast sie im Fieber oft gerufen!«, sagte Dok. »Wolltest, dass sie zu dir kommt. Die Ärzte haben aber gesagt, dass deine Erkrankung von einem Zeckenbiss stammen würde. Vielleicht kam alles zusammen. Der Tod deiner Tante – du hast Johanna sehr gemocht –, der Zeckenbiss, das …«
»Mädchen?«, fügte ich hinzu und drehte mich
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