Dog Boy
zugefrorene Pfützen, faltig wie die Augen eines toten Fisches. Ein einzelnes Auto raste vorbei undnutzte die plötzliche Freiheit, allein auf der Straße zu sein. Als der Wagen verschwunden war, regte sich einen kurzen Augenblick gar nichts. Es war bitterkalt, und Romotschka spürte, dass er sich bald in Bewegung setzen musste. Dennoch wartete er. Er war alt genug, um zu wissen, dass die Straße den Autos und der Gehweg den Erwachsenen und den größeren Kindern gehörte. Für kleine Kinder (und im Moment kam er sich ganz besonders klein vor) gab es draußen in der Welt keinen Platz.
Der nächste Schwung Autos fuhr vorbei und verschwand. Auf der anderen Seite trottete ein großer gelber Hund die Straße entlang. Hunde sind warm, dachte Romotschka. Er hatte sich schon oft an Frau Schillers wuscheligen Hund Heine gekuschelt, und plötzlich konnte er sich lebhaft an den warmen Bauch und den stinkenden Atem des Tieres erinnern. Er nahm den Eimer und schlüpfte durch eine Lücke im Zaun auf den Gehsteig. Dann folgte er dem Hund die Straße entlang, den Eimer scheppernd hinter sich herschleifend. Seine Mutter hatte ihm verboten, vor die Tür zu gehen, sich vom Haus zu entfernen, allein die Straße entlangzulaufen, selbst wenn Onkel ihn losschickte. Sie hatte auch gesagt: Halte dich von den Straßenhunden fern! Die haben Krankheiten, von denen man sterben kann!
Jetzt war niemand da, der ihm hinterherlaufen und ihn ausschimpfen konnte, was seinen Übertretungen etwas Sinnloses verlieh. Ihm war schrecklich kalt, und er hatte Hunger. Wenn Onkel jetzt um die Ecke getorkelt wäre, ihm ein paar Ohrfeigen versetzt und ihn dann in eine neue Wohnung gebracht hätte, Romotschka hätte zwar geschluchzt und geweint, sich aber sehr viel besser gefühlt.
Als die Straße frei war, lief er hinüber, um auf derselben Seite zu sein wie der Hund. Inzwischen zitterte er vor Aufregung – er dürfte gar nicht hier sein, kein kleines Kind dürfte hier sein und so etwas tun. Der Hund blieb kurz vor ihm stehen und schnupperte an der Ecke eines Gebäudes. Romotschka starrte den Bauch des Tieres an, an dem bei jeder Bewegung eine doppelte Reihe von Zitzen schwang. Die Hündin drehte sich um, sah ihn kurz an und lief dann weiter, schneller als zuvor, leichtfüßig und selbstsicher. Ihr blassgelbes Fell war am Hals sehr dicht. Rings um ihn herum sah alles grau und düster aus, und Romotschka sagte sich: Sie ist das einzige Brot im Schrank. Das hatte seine Mutter über ihre Wohnung, über Onkel, über den flimmernden Fernseher gesagt; und an den Abenden, an denen sie nicht arbeitete, auch über ihn.
Romotschka konnte mit der Hündin nicht Schritt halten. Der Gehsteig hatte sich in eine schwarze, spiegelglatte Eisdecke verwandelt. Die vielen Kleidungsstücke, die er übereinander trug, bildeten eine unförmige Masse und zwangen ihn, sich watschelnd fortzubewegen, damit er nicht ausrutschte. Weiter vorn zweigte links eine Gasse ab. Die Hündin bog ein, und als er an der Ecke ankam, war sie bereits verschwunden. Er setzte sich auf den kalten Boden und lehnte sich an ein Regenrohr, das an der Hauswand befestigt war, seinen Eimer neben sich. Es war so kalt, dass er seine Finger in den Fäustlingen nicht mehr spürte. Vom Gehsteig sickerte etwas Wärme in seine Kleidung: Irgendwo in dieser dunklen Mietskaserne befanden sich Menschen.
Seine Mutter hatte oft gesagt: Geh nicht in die Nähe von Menschen. Und sprich nicht mit fremden Leuten!
Er hatte schon schrecklich viel getan, das seiner Mutter nicht gefallen hätte.
Jetzt blieb er einfach sitzen. Die Wärme von den Heizungsrohren unter der Erde machte ihn träge. Er war noch nicht weit gelaufen, doch seine Beine waren so schwer, dass sie ihm den Dienst versagten. Er fühlte sich furchtbar einsam und leer, seine müden Knochen drückten ihn auf die kalten Steine. Sein Kopf war zu schwer.
Es begann zu regnen, und das schwarze Eis auf dem Gehsteig glänzte. Der Rinnstein füllte sich mit schwarzem Matsch, und die weißen Linien auf dem Asphalt verschwanden in einem spiegelnden Glanz. Auf seinen blauen Fäustlingen glitzerten winzige Tröpfchen. Er schloss die Augen.
Plötzlich hörte er ein Geräusch, lauter als das Wispern des Regens und viel näher als die Autos auf der Straße. Als er die Augen wieder aufschlug, standen direkt vor ihm zwei Hunde. Sie waren so plötzlich aufgetaucht, als hätte er einfach nur in einem Bilderbuch eine Seite umgeblättert. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, liefen sie
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