Dog Boy
Gegend mit eingedrückten Toren, schiefen Maschendrahtzäunen und bröckelnden Straßenmauern. In der Ferne stapelten sich die Wohnblocks mit ihren funkelnden Fenstern wie Teller in einem Geschirrständer. Alles war mit Unkraut überwuchert. Sie kamen an niedrigen Gebäuden ohne Balkons vorbei: Büros, Lagerhäuser und Fabrikschuppen. An langen Reihen von fünfstöckigen Mietskasernen, eine wie die andere, mit Rissen in den gekachelten Fassaden und ungepflegten Birken in den geharkten Gärten. Es roch nach gebratenen Zwiebeln und Kohl. Die Menschen, die hier wohnten, bereiteten ihr Abendessen, saßen oder gingen in warmen Zimmern herum, stritten sich, waren müde, schlürften heißen Tee oder Suppe.
Die Hunde verlangsamten ihr Tempo nur, wenn sie eine Straße überqueren oder irgendwelchen Autos oder Menschen ausweichen mussten. Danach beschleunigten sie ihre Schritte sogleich wieder.
Irgendwann waren keine Straßen mehr zu sehen. Vor ihnen lag eine Wiese voll Müll, umringt von dunklen Gebäuden: menschenleere Fabriken oder Lagerhäuser. Plötzlich blieben die drei Hunde wie vor einem unsichtbaren Hindernis stehen, schnupperten an der Ecke einer niedrigen Mauer und an den Zaunpfosten im Feld, umkreisten den Jungen, ohne ihn zu beachten, und urinierten mehrmals. Dann liefen sie genauso zielstrebig weiter wie zuvor. Erschöpft folgte er ihnen. Sie schlüpften durch ein Loch im Zaun und überquerten eine Wiese, auf der schwarzes Unkraut wuchs, wobei sie einen fransigen Pfad durch dasvereiste Gras zogen, die eine Fährte breit, die andere zierlich. Am Ende des Feldes stolperte Romotschka und blieb schwankend stehen. Die Leithündin ließ sich zurückfallen, blickte ihn an und wartete, bis er nickte und weiterstapfte.
Sie zwängten sich durch die Lücke zwischen einer Backsteinmauer und einem Zaunpfosten und waren plötzlich von verlassenen Baustellen umgeben. Ein Auto fuhr die von Schlaglöchern übersäte Gasse entlang, und ein paar ungewaschene Leute gingen vorbei. An der Straßenmauer schlief ein Mann. Er war vom Regen ganz durchnässt und stank nach feuchter Wolle und altem Urin. Die Hunde machten einen großen Bogen um ihn, schenkten ihm aber keine weitere Beachtung.
Romotschka war am Ende seiner Kräfte, als die Hündin plötzlich durch ein kaputtes Tor verschwand. Alle schlüpften der Reihe nach hindurch und gelangten in einen altertümlichen Hof, wo sie auf ein Gewirr aus verfilztem, trockenem Gras und auf fünf tote Apfelbäume stießen, die Stämme von Flechten überzogen. Über ihnen zeichnete sich vor dem Himmel eine eingestürzte Kuppel ab. Sie standen in der schwarzen, dachlosen Ruine einer Kirche.
Die Höhle der Hunde befand sich im Kellergeschoss, wohin sie durch ein Loch im Fußboden und über einen schmalen, oft benutzten Pfad einen Schutthaufen hinab gelangten. Im Inneren war es stockdunkel. Irgendwo jaulten und winselten ein paar Welpen.
Und so kam es, dass ein einsamer Junge, der mit drei Hunden durch ganz normale Gassen, vorbei an ganz normalen Wohnblocks gelaufen war, in denen sich das ganz normale Leben abspielte, eine Grenze überschritt, die eigentlich unpassierbar – ja geradezu unvorstellbar – scheint.
Doch zunächst merkte er das gar nicht.
Romotschka konnte überhaupt nichts sehen. Ihm schlug ein Gestank entgegen, der sogar in seinen kalten Nasenlöchern brannte. Dann erkannte er, dass sie sich in einem großen Keller befanden, dessen Decke stellenweise riesige Löcher aufwies. Die beiden jüngeren Hunde hatten sich niedergelassen und kratzten und leckten sich. Es sah nicht so aus, als hätten sie etwas zu fressen. Inzwischen konnte Romotschka seine Umgebung ziemlich gut erkennen. Die Hündin war in eine Ecke gelaufen und dort von vier kleinen Welpen quiekend begrüßt worden. Er kroch näher, hockte sich hin und beobachtete, wie die Hündin sich hinlegte und die Welpen übereinanderpurzelten, um an ihre Zitzen zu gelangen. Sie betrachtete ihn mit dunklen, leuchtenden Augen, während die Welpen drängelten und quengelten. Er sah ihr dichtes Fell, ihre sauberen Pfoten, zwischen deren schemenhaften Zehen helle Haarbüschel hervorschauten. Den Welpen gegenüber verhielt sie sich wie eine richtige Mutter: streng, kühl und herrisch. Er fragte sich, wie Hundemilch wohl schmeckte, und rückte näher heran. Sein Magen gluckerte. Die Hündin ließ ihn nicht aus den Augen. Er spürte die Wärme des Nests, der sich windenden Körper, in seinem Gesicht, ließ sich auf alle viere sinken,
Weitere Kostenlose Bücher