Dog Boy
milizia hindeuten könnte. Auch achtete er darauf, seine Jungen-Maske zu wahren, und vermied es daher, zu oft an Welpe zu schnuppern oder ihn zu lecken. Er benutzte die Hände wie ein Junge und stellte sich bewusst aufrecht hin.
Welpe erkannte das Ganze als Spiel und spielte mit, tat so, als wäre er ein Hund, der mit einem Jungen und nicht mit einem Hund zusammen war. Ab und zu stand er auf und benahm sich wie ein Junge in Gesellschaft eines Jungen. Mit glänzenden Augen leckte er Romotschkas Hände und hielt dann Romotschkas Hand verlegen in seiner eigenen, wie ein kleiner bei einem großen Bruder. Er rannte um Romotschkas Beine herum. Und er fing erst gar keine Spiele an, in deren Verlauf er Romotschka an der Kehle packte, ihn von der Seite rempelte oder ihn umzustoßen versuchte, damit sein Bauch ungeschützt war. Romotschka war stolz auf ihn, und das spürte Welpe.
Welpe schlief zusammengerollt auf seinem Schoß, sein Körper entspannt und schlaff. Jetzt, wo er zur Ruhe kam, wäre Romotschka am liebsten wieder verschwunden. Das ganze Theater war anstrengend; er war müde und erschöpft. Und wütend. Vorsichtig tastete er Welpes Körper ab, während dieser lächelnd seufzte und sich im Schlaf streckte. Am liebsten hätte ihn Romotschka gekniffen, damit er aufsprang, doch das ständige Gefühl, von ihnen beobachtet zu werden, hielt ihn davon ab. Er ließ mehrmals den Blick durchs Zimmer wandern, um zu sehen, ob er sie dabei ertappen könnte, doch das Zimmer verriet nichts. Welpe war abgemagert und wirkte in seiner neuen Kleidung noch kleiner. Er hatte auch vorher schon auf Romotschkas Schoß gepasst, nur Arme und Beine hatten hinuntergehangen, doch der ganze Körper zwischen seinen Schenkeln? Romotschka wusste es nicht genau, aber vielleicht war Welpe geschrumpft. Wie sollte er nur seinen entkleideten, unbehaarten Bruder mitnehmen in die Kälte dort draußen?
Es schnürte ihm die Kehle zu, er sehnte sich nach der Wärme der Höhle und hätte sich am liebsten mit Welpe zusammengerollt, die Hände um dessen Bauch geschlungen, ihn geleckt und ihm ins Ohr gebrummt. Er schob Welpe vom Schoß, stand vorsichtig auf, öffnete die Tür und ging hinaus, ohne sich noch einmal umzudrehen. Seine Nackenhaare stellten sich auf, doch es passierte nichts. Niemand hielt ihn zurück. Weder der großgewachsene Mann noch seine Gefährtin, die Elchfrau. Sie kam zu ihm, begleitete ihn ein Stück den Flur entlang und sagte dann lächelnd: »Bis zum nächsten Mal, Romotschka.« Er sah sie finster an und lief dann durch den Flur und die Treppe hinunter in den strömenden Regen hinaus. Den ganzen Weg über hatte er ihre Stimme im Ohr.
~
»Du wolltest nicht, dass er ein Mensch ist«, sagte Natalja und fuchtelte mit ihrem Schaschlikspieß über dem Tisch herum. Dimitri war sprachlos. Sie lag völlig falsch! Er hatte sich bloß gewünscht, dass Marko ausschließlich das war, was er war, und nicht teils das und ein bisschen jenes. In seinem eigenen Leben war alles teils das und ein bisschen jenes gewesen – der Rest lag im Dunkeln. Natalja war die einzige Ausnahme. Sie betrachtete ihn, während sie sich die Finger ableckte, und er spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss.
»Tja, vielleicht erklärt das die Kleidung.« Nataljas Stimme klang unbeschwert. Sie versuchte ihm, wie immer, die positive Seite zu zeigen. Doch er fühlte sich kein bisschen besser. Der größere nannte den kleineren Jungen Welpe. Dimitri hatte sich einmal um ein Mädchen gekümmert, deren Mutter es gezwungen hatte, draußen bei den beiden Haushunden zu schlafen. War auch das hier nur ein alltäglicher Fall elterlicher Grausamkeit? Markos spektakuläre Geschichte hatte jedenfalls einen Makel. Dieser Junge – offenbar ein bomsch -Kind – besaß zweifellos eine Familie und hatte mit den Fähigkeiten, die er sich zum Überleben angeeignet hatte, bereits die kritische Schwelle überschritten, jenseits der eine Wiedereingliederung von Straßenkindern als unmöglich galt. Er gehörte zum normalen Strandgut der Gesellschaft: eins von vielleicht fünf Millionen Straßenkindern in Russland, die nicht in den Aufgabenbereich des Zentrums fielen.
In Nataljas Armen lag er auf seinem Ledersofa. Sie drückte ihm ein Glas Whisky in die Hand, und dann begann sie zu reden. Er entspannte sich etwas. »Kann er nicht hier im Zentrum essen, Dimitri? Das wird er sicher gern annehmen, und durch ihn erfahren wir bestimmt einiges über Marko.«
Ja, die beiden zusammen zu
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