Dog Boy
heute aufstand, um zu gehen, sagte er »Verschwinde, caro « und schubste Marko von seinem Schoß.
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Romotschka und Welpe bemühten sich gemeinsam, Dimitri und Natalja davon zu überzeugen, dass Romotschka ein Junge war. Romotschka fand schnell heraus, dass die beiden Welpe wegen der Hunde für etwas Besonderes hielten, und war dementsprechend stolz auf seine eigenen Geheimnisse. Er konnte sich für sie jederzeit ebenfalls zu etwas Besonderem machen, doch er wollte nicht von seiner Familie getrennt und eingesperrt werden, und das würden sie mit Sicherheit tun. Als Hund musste er damals als Belows Bettelwerkzeug in der Zelle bleiben. Als Kind schien er jetzt frei sein zu können. Deshalb spielte er zum zweiten Mal in seinem Leben mit Welpe die Rolle des Menschen, aber diesmal nicht, um jemanden einzuschüchtern; und es erfüllte beide mit Freude.
Gleich vom ersten Tag an leckte er Welpe nicht mehr. Er kläffte und winselte auch nicht mehr und zwang Welpe nicht, ihm seinen Bauch darzubieten. Er achtete darauf, nirgends herumzuschnuppern, und ahmte die Eigenarten der kleinen Jungen nach, die er in den Metrostationen beobachtet hatte. Diese gab er auch an Welpe weiter, der alles bereitwillig nachmachte. Mal bestand seine besondere Darbietung darin, sich auf den Schenkel zu schlagen und lauthals zu lachen, mal spuckte er in die Hände und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Es gefiel ihm, sich zu verstellen.
Wenn ihn niemand beobachtete, terrorisierte er die anderen Kinder im Zentrum, indem er sie anknurrte. Doch er verlor rasch das Interesse an diesen Spielchen und richtete all seine Aufmerksamkeit auf Dimitri, Natalja und Welpe. Welpe wusste, was Romotschka tat, und unterstützte ihn mit seinem typischen lebhaften Einfallsreichtum.
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Dimitri vermied es, den Jungen zu viele Fragen zu stellen, und so konnte er sich nur vorstellen, wie ihr Zuhause ausgesehen haben mochte. Romotschka äußerte sich nicht zu diesem Thema. Er sagte auch nicht, wie sein kleiner Bruder verlorengegangen und in der Obhut von Hunden gelandet sein könnte oder wie er ihn gefunden hatte. Vielleicht hatten alle von dem Kind bei den Hunden gewusst, wie beidem ukrainischen Mädchen Oxana. Einmal hatte Dimitri versucht, nach Markos Eltern zu fragen, und Romotschka hatte ihm etwas ganz Seltsames geantwortet.
»Ich bin das einzige Brot im Schrank«, sagte er mit ruhigem Selbstvertrauen, ja voller Stolz. Dimitri war verblüfft. Der Satz ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Vermutlich bedeutete es, dass sie Waisen waren, eine Enthüllung, die ihm gefiel und ihn zugleich beunruhigte. Einerseits war es unwahrscheinlich, dass weitere Familienangehörige auftauchten, und so musste er sich auf keine weiteren bösen Überraschungen bei seinen Forschungen einstellen. Er konnte nicht verbergen, wie sehr ihn das freute. Das war eine quälende Angst gewesen – denn schlimmstenfalls drohte die Gefahr, dass eine Erwachsene Anspruch auf Marko erhob, die ihm den Jungen juristisch gesehen wegnehmen konnte, zumindest bis er bewies, dass sie als Mutter ungeeignet war, eine Erwachsene, die all seine sorgfältig rekonstruierten Daten beeinträchtigen würde. Andererseits, wenn Romotschka ganz allein auf der Welt war, sollten sie ihn dann nicht auch im Zentrum aufnehmen? Gab es, unabhängig von der Politik, von den fünf Millionen Obdachlosen, nicht eine moralische Seite?
Zu seiner Überraschung beruhigte Natalja ihn.
»Romotschka kann von Glück sagen, dass wir ihn hereinlassen und ihm etwas zu essen geben, und das tun wir nur, weil er harmlos, interessant und ungewöhnlich ist. Mehr können wir nicht tun, Dimitri. Meinst du, die anderen Kinder, die hier bei uns wohnen, haben keine Geschwister, die in schrecklichen Verhältnissen leben? Nadeschda hat fünf. Alle drogenabhängig, und einer, der sie sexuell missbraucht hat. Die meisten Verwandten dieser Kinder sind Psychopathen, die zum Wohle der Gesellschaft ins Gefängnis gehörten. Willst du die auch alle aufnehmen? Banden, Vergewaltigungen, Drogen und Gewalt – und lass mich gar nicht erst von den Eltern anfangen.«
Anscheinend wollte auch Natalja nicht für Romotschka verantwortlich sein müssen.
Das Essen, das Romotschka im Zentrum erhielt, war gekocht und warm, und sie gaben ihm fast alles, worum er bat. Darum ging er nicht mehr oft auf Nahrungssuche, und was er nach Hause brachte, reichte nie aus. Wenn er zu viel Zeit mit Welpe verbrachte, machte er sich Sorgen um die Hunde, und wenn er
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