Dog Boy
eiskalt, Wärme gab es nur ganz nah an den Hundekörpern. Eine Alphahündin, die ihn beschützte und versorgte. Viel rauer, aber liebevoller Körperkontakt. Eine blinde Welt, voller Geräusche, Berührungen, Gerüche. Das war die Lösung: keine sensorische Deprivation, die bei den Heimkindern so lähmend und so vertraut war, so deutlich zu erkennen bei den kleinen Einzelgängern, die gekrümmt dasaßen und vor sich hin schaukelten.
Wie hatte dieser Junge gelernt, sich mit Spielzeug zu beschäftigen? Lag das bloß am Persönlichkeitswachstum und der Flexibilität, die eine sinnenreiche Umgebung förderte? Sein Gang, die Laute, die er von sich gab, sein Gehör, sein Geruchssinn, seine Gewohnheiten, alles deutete auf einen Probanden hin, der in das Leben von Hunden hineingewachsen war. Mehrfach mit Hunden gesehen und in Begleitung zweier Hunde gefangen, die anfangs versucht hatten, ihn gegen die milizia zu verteidigen. Er sollte sich darum kümmern, die Daten der milizia zur Häufigkeit seines Erscheinens in der Öffentlichkeit zu sammeln, bevor sie nicht mehr zugänglich waren. Das würde beweisen, dass er recht hatte. Aber warum war der Hundejunge ausgerechnet in diesem Frühling aufgetaucht? Natürlich – im Winter war er an die Höhle gebunden. Und vorher vielleicht noch zu jung gewesen. Er musste ein echtes wild lebendes Kind sein – und, dachte Dimitri unwillkürlich, ein Geschenk Gottes für das Zentrum. Bei der großen Aufmerksamkeit,die dieser Fall erregen würde, konnte der Kreml die Finanzierung unmöglich einstellen.
Dimitri starrte das Bild auf seinem Becher an, die Frühlingsblumen, die stummen Singvögel, den Wolfswelpen und den Faun. Und wie kam es, dass der Junge teilweise bekleidet gewesen war? War es möglich, dass er Kleidungsstücke gestohlen oder gefunden und sich selbst angezogen hatte? Es waren erbärmliche Lumpen, schon schäbig, als sie noch neu gewesen waren. War es möglich, dass seine Überlebensintelligenz ausgereicht hatte, um die Beobachtung von Menschen und seine körperlichen Bedürfnisse in solch einer Handlung zu vereinen?
Die Majak-Uhr hinter ihm schlug, surrte und ließ ihren Kuckucksruf ertönen. Dimitri zuckte zusammen. 12:30 Uhr. Doch er rührte sich nicht. Keine Sprache. Ohne erkennbare menschliche Erziehung, aber ungewöhnlich geschickt. Und bekleidet. Das ergab keinen Sinn. Es konnte alles zerstören.
Bekleidet. Er musste Eltern oder eine Betreuungsperson gehabt haben.
Verdammt.
~
Romotschka konnte nicht aufhören, über Welpes neues Haar zu streichen. Es war eine unangenehme Überraschung gewesen, ihn mit geschorenem Kopf zu sehen, doch inzwischen fand er, dass es sich gut anfühlte. Ein bisschen wie Weiße Schwester im Sommer, aber noch besser. Federnd, glatt. Golden, glänzend und nach Seife stinkend.
Voller Misstrauen hatte er Welpes Zimmer betreten. Es war zu hell und roch scharf und ekelhaft. Auch Welpes Geruch hatte sich verändert. Unter all den neuen Gerüchen anseinem Körper nahm Romotschka nur noch einen zarten Hauch davon wahr. Welpe hatte bei seinem Anblick und Geruch vor Freude geheult und gejault. Als Romotschka sich hinhockte, warf Welpe ihn um, sprang auf seinen Schoß und wieder hinunter, rannte dann in engen Kreisen um ihn herum, schlang die dünnen Arme um Romotschkas Nacken und ließ wieder los, um sie als Beine zu benutzen, nicht zu bremsen, bis Romotschka den kleinen Körper mit den Armen umfing und festhielt. Trotz all der fremden Gerüche war es eine Erleichterung, Welpe wieder im Arm zu halten. Er beugte das Gesicht zum Hals des Kleinen hinunter, während dieser sich, atemlos vor Glück, unbändig hin und her wand. Am liebsten hätte er Welpe ganz langsam abgeleckt, doch er wurde das Gefühl nicht los, dass sie beobachtet wurden. Gemeinsam erkundeten sie das Zimmer, betrachteten sich in den Spiegeln, beschäftigten sich mit dem Spielzeug. Romotschka suchte nach einem schmalen Spalt, hinter dem Augen lauerten, konnte aber keinen verräterischen Luftzug aufspüren, keine Veränderung der gleichförmigen Gerüche im Zimmer. Er wusste nicht, wie sie es anstellten, aber er war sich sicher.
Romotschka entspannte sich etwas, als er sah, dass Welpe den spröden Mann und die Elchfrau mochte. Er war ihnen gegenüber so freimütig und freudig, dass sie ihm nichts Böses getan haben konnten, und dennoch sträubten sich Romotschkas Nackenhaare. Er horchte auf das Getrampel schwerer Stiefel und irgendwelchen Tumult vor der Tür, der auf die
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