Dogma
Conrad um. «Was ist das?»
«Es geht dich nichts an», wiederholte der Ritter.
Mehmet rief heftig gestikulierend ein paar erboste Befehle, woraufhin seine Männer gewaltsam die zweite Truhe öffneten.
Als Mehmet den Inhalt sah, verdüsterte sich sein Gesicht noch mehr.
Er sprang vom Fuhrwerk, rannte zu Conrad und stieß ihn mit einem heftigen Tritt wieder zu Boden. Dann zog er einen Dolch aus seinem Gürtel und richtete die Spitze auf Conrad, riss seinen Kopf an den Haaren nach hinten und setzte ihm die Klinge an die Kehle. «Machst du dich über mich lustig?», stieß er heiser hervor. «Was ist das für ein Schatz?»
«Für dich ist er nicht von Wert.»
Mehmet drückte die Klinge fester an Conrads Hals. «Sag mir, was das ist. Warum wolltest du es so dringend haben?»
«Geh zum Teufel», erwiderte der Ritter, sprang so plötzlich auf wie eine Feder, deren Verschluss gelöst wurde, und stieß mit der einen Hand den Dolch beiseite, während er mit der anderen, der metallenen, den Händler mit aller Kraft ins Gesicht schlug.
Mehmet stürzte mit einem Aufschrei zu Boden. Blut strömte ihm aus Mund und Nase. Conrad warf sich auf ihn, aber in diesem Moment griff Qassem ein und hielt ihn fest, während seine gedungenen Helfer auf Conrad einschlugen, bis er den Widerstand aufgab.
Conrad, kaum noch bei Bewusstsein, lag hilflos am Boden. Verschwommen sah er den Sohn des Händlers auf sich zukommen, den Dolch in der Hand und sichtlich zum Äußersten entschlossen. Der Ritter wappnete sich, doch was dann geschah, kam gänzlich unerwartet. Qassem schlitzte ihm nicht den Bauch oder die Kehle auf. Stattdessen ging er in die Hocke und setzte Conrad ein Knie auf die Brust, um ihn am Boden zu halten. Dann durchtrennte er mit seinem Dolch die Lederriemen, mit denen Conrads Prothese befestigt war, und riss sie ihm vom Armstumpf. Triumphierend hielt er sie hoch und betrachtete sie wie den Skalp eines Erzfeindes. Voller Stolz zeigte er seine Beute den anderen.
Der Händler rappelte sich mühsam hoch, bis er schwankend und von seinem Sohn gestützt wieder auf den Füßen stand. Er spuckte Blut, und seine Augen waren vor Wut blutunterlaufen. «Du warst schon immer ein sturer Bastard, du.»
Qassem hielt seinen Dolch hoch und beugte sich erneut über Conrad. «Ich werde den Ungläubigen zum Reden bringen.»
Der Händler fiel seinem Sohn in den Arm. «Nein», sagte er, die Augen noch immer auf den gestürzten Ritter gerichtet. «Ich glaube nicht, dass er uns die Wahrheit verraten würde. Außerdem brauchen wir ihn nicht. Offenbar enthalten diese Truhen etwas sehr Kostbares. Ich bin sicher, in Konya werden wir jemanden finden, der uns sagen kann, was es ist.»
«Und was ist mit ihm?», fragte Qassem.
Der Händler sah sich stirnrunzelnd in der Schlucht um, die bis auf ihn und seine Männer verlassen war. Abgesehen von den Klagelauten des gestürzten Pferdes, war nichts zu hören. Die Sonne stand inzwischen hoch und brannte mit hochsommerlicher Kraft auf sie herunter.
Conrad bemerkte, wie der Händler zum Himmel aufblickte. Über ihnen kreisten, angelockt von den Toten und dem Blut, drei Gänsegeier. Er sah, wie Mehmet den Blick anschließend auf das sterbende Pferd richtete, sich dann wieder seinem Sohn zuwandte und mit schmerzverzerrtem Gesicht grinste.
Als der Ritter begriff, welches Schicksal ihn erwartete, wünschte er, auch ihn hätte ein Pfeil getroffen.
Die Hitze war erstickend, und das lag nicht nur an der Sonne.
Es lag an dem Pferd. In dem er steckte.
Sie hatten Hectors Pferd aufgeschlitzt, den größten Teil der Eingeweide herausgezerrt und Conrad darin verkehrt herum eingenäht. Sein Kopf ragte am Hinterteil heraus. Auch seine Arme und Beine standen hervor, aus Löchern, die die Männer in die Haut des Hengstes geschnitten hatten, und bis auf den Stumpf seines linken Armes waren sie alle fest an Pflöcke gebunden, die in den harten Boden gerammt waren.
So hatten sie ihn zurückgelassen, gekreuzigt am Boden der Schlucht. Dann waren sie mit den Pferden und dem Fuhrwerk und sämtlicher Ladung abgezogen.
Es war unerträglich heiß hier drin. Aber noch schlimmer als die Hitze war der Gestank. Und die Insekten. Der Boden um ihn herum war mit gerinnendem Blut und totem Fleisch bedeckt, das in der sengenden Sonne rasch zu verwesen begann. Der Händler und seine Männer waren noch in Sichtweite, als bereits Fliegen und Wespen ihn und seine toten Ordensbrüder umschwärmten, sich über die reichhaltigen Futterstellen
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