Dogma
Tagesritte? Mit einem schnellen Pferd vielleicht nur drei.»
«Mit dem Fuhrwerk und der Ladung werden sie nicht besonders schnell vorankommen, wir könnten sie leicht einholen. Und sie brauchen eine sichere Unterkunft für die Nacht, wo sie nicht gesehen werden. Die wird mit all den Pferden nicht so leicht zu finden sein.»
Er schwieg, um ihr Zeit zum Nachdenken zu geben, dann sah er sich um und traf einen Entschluss. «Aber zuerst brauche ich noch bei etwas anderem deine Hilfe.»
«Wobei?»
«Ich muss meine Freunde begraben.»
«Dann sollten wir uns beeilen. Schließlich wollen wir ihnen nicht zu viel Vorsprung geben.»
«‹Wir›?»
Sie warf ihm einen ironischen Blick zu. «Ich habe dir das Leben gerettet, schon vergessen?»
«Aber sie sind deine Familie.»
Ihr Stirnrunzeln verriet, dass ihr die Angelegenheit nicht leichtfiel. «Du kennst mich noch nicht gut genug.»
«Und wenn ich dich besser kennen würde?»
«Dann würdest du es verstehen.» Sie sprach mit ruhiger, fester Stimme. Ihr Ton machte klar, dass sie sich nicht auf Diskussionen einlassen würde. «Lass uns keine Zeit mehr verlieren. Wir können unterwegs reden.» Dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. «Aber solange du nicht gebadet hast, musst du in Windrichtung von mir weg reiten.»
«Sie haben unsere Pferde mitgenommen. Wir werden zusammen auf einem Pferd sitzen müssen.»
«Ich bin mit zwei Pferden gekommen», entgegnete sie. «Für den Fall, dass sich eines verletzt. Schließlich war es ein weiter Weg von Konstantinopel.»
Conrad nickte, dann sah er zu Hectors Leiche hinüber. «Hector hat ungefähr meine Größe. Ich nehme seine Kleider, bis wir einen Fluss finden.»
Mit Maysoons Dolch und mit bloßen Händen hoben sie am Fuß der Klippe eine rechteckige Grube aus. Sie legten die Leichen von Hector und Miguel nebeneinander hinein und bedeckten sie mit Steinbrocken, um sie vor Geiern und anderen Aasfressern zu schützen, die durch diese Täler streiften. Anschließend füllten sie die Grube wieder mit einer Schicht Erde auf. Conrad nahm den Dolch, ritzte ihre Namen in die Felswand dahinter und setzte ein Tatzenkreuz darüber.
Anschließend stand er da und betrachtete die festgetretene Erde und die Inschrift auf dem Felsen. Es war kein Grab, wie er es sich für seine gefallenen Brüder gewünscht hätte, aber mehr konnte er nicht tun.
Maysoon las die Trauer in seinem Gesicht.
«‹Es mag aussehen wie das Ende
›»,
sagte sie.
«‹Es mag scheinen wie ein Sonnenuntergang, doch in Wahrheit ist es eine Morgendämmerung. Denn wenn das Grab dich einschließt, wird deine Seele frei.
›»
Conrad sah sie fragend an.
«Rumi.»
Er verstand noch immer nicht. «Das erkläre ich dir später», sagte sie. «Jetzt müssen wir aufbrechen.»
«Einverstanden.» Er warf einen letzten Blick auf das Grab, aber ehe er sich abwandte, fiel ihm noch etwas ein.
Er ritzte auch seinen eigenen Namen ein. Unter den ihren.
Nun war Maysoon es, die nicht verstand und ihn fragend anschaute.
«Nur für den Fall, dass noch irgendjemand nach mir sucht», erklärte er.
Dann ritten sie davon. Im Galopp folgten sie den Spuren, die der Türke und seine Leute hinterlassen hatten.
An jenem ersten Tag kamen sie nicht mehr sehr weit. Die Sonne stand schon tief, als sie auf einen kleinen Fluss stießen, der sich zwischen sanften, bewaldeten Hügeln wand. Es war ein guter, sicherer Platz für ein Nachtlager. Morgen würden sie weiter aufholen.
Conrad wusch sich in dem Flüsschen. Das kühle Wasser war Balsam für seine Wunden. Beim Baden dachte er über die vergangenen Tage nach, über die plötzliche Wendung seines Lebens, die Fallgrube, die das Schicksal für ihn bereitgehalten und in die es ihn gestürzt hatte. Doch er hing nicht lange solchen Grübeleien nach. Sein Blick fiel auf Maysoon, die aus ihrem Kleid schlüpfte und zu ihm ins Wasser stieg, und schlagartig hellten sich seine Gedanken auf. In diesem Moment beschloss er, die Gelübde und Entsagungsgebote der fernen Vergangenheit endgültig zu vergessen.
Er zog Maysoon an sich und küsste sie mit heißer Begierde. Hingebungsvoll vergrub er sich in ihr und begrub damit zugleich die letzten Reste seines Lebens als Ordensritter.
Von jetzt an war er nur noch ein Ritter.
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Kapitel Achtunddreißig
«Die Hände. Sie sind alle da, alle vier», stellte Tess verdrossen fest. «Keiner dieser beiden ist Conrad. Er ist nicht hier gestorben.»
Abdülkerim starrte sie völlig
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