Dogma
zurückblickte, empfand er eine gewisse Befriedigung. Zwar war nicht alles so reibungslos verlaufen wie erhofft, aber jetzt war er in Sicherheit und hatte den Kodex bei sich, das allein zählte. Mission erfüllt, dachte er, und ein Lächeln umspielte seine Lippen – er liebte diesen Ausdruck, der neuerdings ein köstlich ironische Note bekommen hatte. Aber als er die Ereignisse noch einmal einzeln Revue passieren ließ, beschlich ihn auch ein leises Unbehagen – ein Gefühl, an das Mansoor Zahed nicht gewöhnt war und das er nicht so einfach hinnehmen konnte. Es betraf das Verhalten des FBI -Agenten.
Der Agent war zunächst leicht zu manipulieren gewesen. Es war Zahed gelungen, ihn nach Rom zu locken und sich vor ihm als der rückgratlose Gelehrte Sharafi auszugeben. Zahed hatte genügend Knöpfe gedrückt, um den Agenten dazu zu bringen, ihn ins innerste Heiligtum von dessen Religion zu führen. Keinen Moment war Sean Reilly davor zurückgeschreckt. Und auch in allem, was danach folgte, hatte er sich unerschrocken gezeigt. Er hatte ohne Zögern getan, was die Situation erforderte. Er war zum Kriminellen geworden und hatte das Zentrum seiner Religion mit Füßen getreten, ohne an die Konsequenzen zu denken.
Und gerade das bereitete Zahed Unbehagen.
Solch hingebungsvollen Einsatz war er nicht gewohnt, jedenfalls nicht von diesen verweichlichten Westlern. Was nicht hieß, dass er den Mann unterschätzt hätte. Auch wenn er vor ihrer ersten Begegnung nicht viel über den Agenten wusste, hatte das wenige, das er über ihn herausfinden konnte, doch darauf hingedeutet, dass er durchaus ernst zu nehmen war; und auch, dass er es mit Vorschriften nicht allzu genau nahm. Das hatte Zahed gefallen. Für diese Mission brauchte er einen Komplizen mit einem Rückgrat aus Stahl. Aber es gab einen Punkt, ab dem die gleichen Eigenschaften, auf die es ankam, zum Ärgernis wurden.
Und dieser Punkt war längst überschritten.
Zahed fragte sich stirnrunzelnd, ob es ein Fehler gewesen war, den Mann am Leben zu lassen. Er hätte die Gelegenheit gehabt, Reilly auszuschalten, als dieser an ihm vorbeirannte, um sich das Handy zu holen – aber in der Hitze des Augenblicks waren ihm plötzlich Zweifel gekommen, ob er dem Agenten im Nahkampf wirklich so klar überlegen wäre. Etwas an Reilly – diese eiserne Entschlossenheit, dieses Selbstvertrauen – hatte Zahed plötzlich an seinen eigenen beachtlichen Fähigkeiten zweifeln lassen. Auch das war er nicht gewohnt. Einfach hinnehmen konnte er das nicht.
Mansoor Zahed schalt sich selbst für diesen Augenblick der Schwäche. Er hätte den Mann auf der Stelle unschädlich machen sollen, dann hätte er jetzt nicht zu befürchten brauchen, dass der FBI -Agent für ihn noch zu einem ernsthaften Ärgernis werden könnte.
Wenn sich unsere Wege noch einmal kreuzen sollten, wird das mehr zu seinem Schaden als zu meinem sein, entschied Zahed. Er schob den Gedanken beiseite und konzentrierte sich wieder auf praktischere Dinge.
Er wartete, bis das Tor sich geschlossen hatte, dann stieg er aus dem Wagen, einem gemieteten Fiat Croma. Es war eine Familienkutsche, wie man sie häufig sah, ein gänzlich unauffälliges Auto. Zahed hatte es im Viertel Trastevere abgestellt, nicht weit vom Ufer des Tiber, und war von dort aus mit dem Taxi zum Flughafen gefahren, wo er sich mit Reilly traf. Später, nachdem er den Kodex in Händen hielt, hatte er improvisieren müssen. Er war den Hang wieder hinuntergerannt, hatte einen nichtsahnenden Teenager von seinem Piaggio-Roller gezerrt und war damit zurück zu seinem Auto gefahren. Dabei hatte er sich keine Sorgen darum gemacht, dass jemand seine Spur verfolgen könnte. Nicht in Rom. In London hätte die Sache anders ausgesehen. Diese Stadt hatte schamlos ein Orwell-Szenario Wirklichkeit werden lassen, an jeder Straßenecke gab es Überwachungskameras. Rom war anders, nicht so hochtechnisiert, mehr der Alten Welt verhaftet. Das kam Zahed sehr gelegen – wie auch die Cosa Nostra, die großen Einfluss auf die Entscheidungen des Stadtrats hatte.
Zahed ging ins Haus. Es roch muffig, wie Räume rochen, die seit Monaten unbewohnt waren. Die wenigen Möbelstücke waren mit alten Laken und Decken abgedeckt, Zahed hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie zu entfernen. Er schloss die Tür zweimal hinter sich ab und ging ein paar Schritte in den Flur hinein. Vor einem Spiegel blieb er stehen und musterte die Gestalt, die ihm mit kühler Verachtung entgegenblickte. Der
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