Dogma
künstlich erhöhte Haaransatz, das billige Brillengestell, die nichtssagende Kleidung – alles Kniffe, um die Täuschung perfekt zu machen. Er konnte es kaum erwarten, wieder in eine Rolle zu schlüpfen, in der er sich wohler fühlte. Und genau das konnte er jetzt tun.
Er stieg die Kellertreppe hinunter und schloss die Tür zu einem Lagerraum auf. Als er das Licht einschaltete, fand er Simmons – wie nicht anders erwartet – genau da, wo er ihn zurückgelassen hatte: auf dem Boden des fensterlosen Raums, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, das rechte Handgelenk mit Nylonhandschellen an ein Heizungsrohr gefesselt.
Jed Simmons hörte die Tür quietschen, dann leuchtete die nackte Glühbirne auf, die mitten im Raum an einem Kabel von der Decke hing. Simmons blickte auf. Nach der Dunkelheit der vergangenen Stunden schmerzte selbst dieses schwache Licht in seinen Augen. Außerdem kam es ihm wie eine unglaubliche Anstrengung vor, auch nur die Lider zu heben. Er erkannte sich selbst nicht wieder in diesem jämmerlichen Zustand. Er war so schwach, dass er sich kaum rühren konnte; selbst das Atmen fiel ihm schwer, und seine verworrenen Gedanken trieben in einem Nebel, in dem kein Halt in Sicht war.
Ein kurzer, grausamer Moment der Hoffnung, dass Rettung käme, dass irgendjemand irgendwie herausgefunden hätte, was hier vor sich ging, und gekommen sei, um ihn aus diesem Albtraum zu befreien – doch gleich darauf folgte die Ernüchterung, als er die mittlerweile vertraute Silhouette seines Entführers erkannte.
Die Wut versetzte ihm einen Adrenalinstoß. Wut und Entrüstung darüber, so gefangen gehalten zu werden, von jemandem, dessen Namen er nicht kannte und über dessen Absichten er nichts wusste. Sein Entführer hatte strikt darauf geachtet, ihn nur das Nötigste wissen zu lassen: Simmons sollte ihm helfen, etwas zu finden, das eine kleine Gruppe Tempelritter heimlich aus Konstantinopel herausgeschafft hatte. Aber wer der Mann war, in wessen Auftrag er handelte und weshalb er so dringend darauf aus war – darüber schwieg er sich aus.
Simmons fragte sich, ob er sterben würde, ohne es je zu erfahren. Diese Vorstellung machte ihn noch wütender.
Als er den Kodex sah, den der Mann bei sich hatte, überlief ihn ein Schauder. Hilflos sah er zu, wie sein Entführer den Raum betrat und vor ihm in die Hocke ging.
«Gute Neuigkeiten», teilte er Simmons mit und legte den Kodex vor ihm auf die Fliesen. «Ich habe es. Was bedeutet, dass Sie mir noch nützlich sind.»
«Tess … Wo ist sie? Ist alles in Ordnung mit ihr?» Die Worte kamen schleppend und nur ganz leise heraus.
«Ihr geht es gut, Jed. Alles in Ordnung. Sie hat mir geholfen, und deshalb ist sie jetzt frei. Verstehen Sie? Sie können auch freikommen, wenn Sie einfach nur tun, was ich verlange, und mir helfen zu finden, wonach ich suche. Na, was halten Sie davon?»
Simmons funkelte ihn hasserfüllt an. Er wünschte nichts sehnlicher, als dass der Mann die Wahrheit sprach und es Tess gutging, aber er konnte nicht wirklich daran glauben.
«Und was ist mit Sharafi?»
Der Mann lächelte. «Dem geht es auch gut. Ich brauchte ihn nicht mehr, deshalb durfte er gehen. So einfach ist das.» Er kniff Simmons mit väterlicher Geste in die Wangen. «Und jetzt … wollen wir mal dafür sorgen, dass es Ihnen bessergeht und Sie wacher werden, damit Sie sich an die Arbeit machen können, wie?»
Der Mann griff in seine Tasche und förderte eine Spritze zutage. Aus der anderen Tasche zog er ein Fläschchen mit einer klaren Flüssigkeit. Er stach mit der Kanüle durch den Gummistopfen des Fläschchens, zog die Spritze auf, hielt sie hoch und drückte die Luftbläschen heraus.
Der Archäologe starrte die Nadel an und nickte nur stumm. Mit düsterem Blick betrachtete er den Kodex vor sich, verfluchte im Stillen den Tag, an dem er zum ersten Mal davon gehört hatte, und wünschte, er hätte das verdammte Ding niemals erwähnt.
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Kapitel Zehn
In der Zentrale der Gendarmeria des Vatikans, die im Tribunalspalast hinter dem Petersdom untergebracht war, herrschte heller Aufruhr. Überall in den weitläufigen Gängen des mittelalterlichen Gebäudes hallten hektische Schritte, die Telefone liefen heiß, Fragen und die jüngsten Meldungen wurden laut rufend von einem Raum zum nächsten übermittelt. Der chaotische Lärm dröhnte Tess Chaykin schmerzhaft in den Ohren.
Nachdem sie aus dem präparierten Auto befreit worden war, hatten Reilly und
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