Dogma
sah, erschien ihm diese Möglichkeit gar nicht so unwahrscheinlich.
Delpiero, der Polizeichef des Vatikans, stellte Reilly die beiden kurz vor – einer war von der Antiterroreinheit der Staatspolizei, der andere vom nationalen Geheimdienst –, dann machte er eine eindeutige Geste, als wolle er ihn verwünschen. «Vor kaum einer Stunde habe ich Sie mit Ihrem Professor und Monsignor Bescondi gehen lassen und Ihnen gesagt, wenn Sie irgendetwas bräuchten, wäre ich für Sie da. Ist das der Dank für unsere Großzügigkeit?»
Reilly hatte darauf keine einfache Antwort. Stattdessen fragte er: «Die zweite Bombe – ist sie entschärft?»
«Sie ist es.»
Jetzt wurde es schwieriger. «Und die erste Bombe? Wie schlimm ist der Schaden?»
Delpieros Gesichtszüge verhärteten sich. «Drei Tote. Mehr als vierzig Verletzte, zwei davon in Lebensgefahr. Das ist unser derzeitiger Stand.»
Angesichts dieser Schreckensnachricht von Zorn und Reue überwältigt, schwieg Reilly einen Moment lang düster. Dann sagte er: «Im Kofferraum des ersten Wagens war ein Mann.»
Delpiero wandte sich an einen seiner Kollegen und schoss eine Frage auf Italienisch ab. Nach einem kurzen, schnellen Wortwechsel teilte er Reilly mit, davon sei ihnen nichts bekannt.
«Woher wissen Sie das?»
«Der Entführer hat es mir erzählt.»
«Der Mann in dem Kofferraum – wissen Sie auch, wer das war?»
«Behrouz Sharafi», sagte Reilly. «Der echte.»
«Das heißt, der Mann, der bei Ihnen war –»
«Das war ein Betrüger.» Bei dem Gedanken daran kam Reilly die Galle hoch. Delpiero und den anderen war anzusehen, dass sie nicht mehr mitkamen.
Delpiero wurde lauter, Zorn und Verwirrung standen ihm ins Gesicht geschrieben. «Sie haben also diesen … diesen Terroristen hergebracht, hierher in den Vatikan, ohne überhaupt zu wissen, wer er in Wirklichkeit ist?»
«So einfach ist das nicht», blaffte Reilly zurück, verzweifelt bemüht, seine Wut – auf den Bombenleger, aber vor allem auf sich selbst – zu beherrschen. «Mir wurde gesagt, ich müsse ihn in das Archiv bringen, sonst würde die Frau, die jetzt da drüben sitzt, sterben», sagte er und wies zur Tür. «Dieser Dreckskerl, wer immer er sein mag, hat seine Rolle perfekt gespielt, und Sie können verdammt sicher sein, angesichts der Mittel, über die er anscheinend verfügt, wäre es für ihn auch ein Leichtes gewesen, mir einen gefälschten Ausweis mit Sharafis Namen zu zeigen, wenn ich danach gefragt hätte.» Reilly schüttelte verbittert den Kopf. «Hören Sie, er hat mich reingelegt, klar? Wie hätte ich denn mit so etwas rechnen sollen! Mir ging es einzig und allein darum, einer Freundin das Leben zu retten.»
«Und das Ergebnis sind drei Tote und Dutzende Verwundete», konterte Delpiero.
Die Bemerkung traf Reilly im Innersten, und die zornige Erwiderung, die er am liebsten hinausgeschrien hätte, blieb ihm in der Kehle stecken. Menschen waren zu Schaden gekommen, Menschen waren gestorben, und er fühlte sich dafür verantwortlich. Dieser Hurensohn, wer immer er war, hatte ihn ausgespielt – und das Spiel gewonnen. Beinahe. Reilly versuchte, sich mit dem Gedanken zu trösten, dass er durchaus auch selbst hätte umkommen können. Wenn er dem Mann nach ihrer Flucht aus dem Vatikan auch nur die geringste Gelegenheit gegeben hätte, dann hätte der ihn zweifellos umgebracht. Was wiederum wahrscheinlich auch für Tess den Tod bedeutet hätte. Wenigstens in diesem Punkt hatte er etwas ausrichten können. Er scherte sich nicht um das verdammte Buch oder dass er das Papamobil zu Schrott gefahren hatte. Er hatte Tess das Leben gerettet, und allein darum war es ihm von Anfang an gegangen. Aber um welchen Preis – das war nicht vorgesehen gewesen. Menschen waren gestorben, unschuldige Menschen, die er niemals in dieses Drama hätte hineinziehen dürfen, und das war durch nichts wiedergutzumachen.
Tilden erkannte, wie Reilly sich quälte, und sprang für ihn in die Bresche. «Bei allem schuldigen Respekt,
Inspettore –
ich finde, wir sollten zuerst alle Fakten anhören, ehe einer von uns etwas sagt, das er vielleicht später bereut.»
«Ganz meine Meinung», ertönte eine Stimme hinter ihnen.
Kardinal Brugnone hatte den Raum betreten, begleitet von Monsignor Bescondi, dem Präfekten der vatikanischen Geheimarchive, der sich offenbar von Reillys Betäubungsmittel erholt hatte. Die beiden lächelten nicht.
Es fiel Reilly schwer, ihnen in die Augen zu sehen.
«Wir müssen alles
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