Dogma
Sie mich zu ihr, zeigen Sie mir, dass sie lebt und unversehrt ist, und Sie bekommen das Buch.»
Sein Gegenüber schüttelte mit spöttisch-entschuldigender Miene den Kopf. «Das geht nicht. Ich bezweifle, dass es klug wäre, wenn ich mich jetzt wieder in der Stadt blicken ließe – wenn Sie verstehen, was ich meine. Nein, Sie müssen schon selbst hingehen und sie befreien. Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag: das Buch gegen die Information, wo sie sich befindet. Und mein Wort darauf, dass ihr nichts zugestoßen ist.»
Sein Wort.
Reilly knirschte mit den Zähnen. Ihm war klar, dass er keine Wahl hatte. «Und das Handy da», fügte er hinzu.
Der andere dachte kurz nach, dann zuckte er die Schultern. «Erscheint mir fair.»
Dieser geisteskranke Dreckskerl redet von Fairness, schäumte Reilly innerlich. Doch er kämpfte seine Wut nieder und konzentrierte sich auf die Verhandlung.
«Okay, wir machen es folgendermaßen», sagte er. «Sie legen das Handy auf den Boden und sagen mir, in was für einem Auto sie ist und wo es steht. Ich lege das Buch ebenfalls auf den Boden. Dann gehen wir beide seitwärts, Schritt für Schritt, im Kreis. Ganz langsam. Sie nehmen das Buch, ich nehme das Handy.»
«Und dann?»
«Dann können Sie meinetwegen verschwinden – für einige Zeit. Aber ich garantiere Ihnen, früher oder später kriege ich Sie.» Reilly konzentrierte sich angestrengt darauf, sich jedes kleinste Detail an dem Mann einzuprägen.
Der musterte ihn seinerseits, wie um seinen Plan ein letztes Mal zu prüfen. «Sie ist in einem BMW .»
Reillys Puls raste.
Der Mann hielt einen Autoschlüssel hoch und schwenkte ihn wie ein rotes Tuch vor einem Stier. «Ein A5. Dunkelblau. Kennzeichen aus Brindisi. Er steht am Ingresso del Petriano.»
Das ergibt Sinn, dachte Reilly. Eine weitere «Sicherheitsvorkehrung», wie der Iraner es trocken bezeichnet hatte, für den Fall, dass sie den Vatikan durch das andere Tor verließen.
Der Iraner hielt den Schlüsselbund einen Moment lang hoch, dann drehte er sich um und warf ihn schräg hinter sich. Er landete auf einem kleinen Rasenstreifen. Der Mann wandte sich wieder Reilly zu, und ein eisiges Lächeln umspielte seine Lippen. Sein übriges Gesicht blieb ausdruckslos. «Und das hier werden Sie auch brauchen», fügte er hinzu und hielt das Handy einen Moment lang hoch, ehe er es ebenfalls fortwarf.
Atemlos sah Reilly zu, wie sich das Handy in der Luft mehrmals um sich selbst drehte und dann auf demselben Rasenstück landete, nahe bei ein paar Bänken. Wie erstarrt stand er da, jeden Muskel zum Zerreißen gespannt, und lauschte voller Grauen auf einen verräterischen, dumpfen Laut aus der Ferne – aber er hörte nichts.
«Lassen Sie das Buch fallen und holen Sie sich das da», befahl der Mann schroff und zeigte auf das Rasenstück.
Reilly stand einen Moment lang wie angewurzelt. Mit dem schweren Buch konnte er unmöglich an seinem Gegner vorbeigelangen, um das Handy zu erreichen. Der Mann würde ihn mühelos niederschlagen. Seine Beine zuckten, die Impulse, stehen zu bleiben oder zu laufen, blockierten sich gegenseitig. Schließlich riss er sich aus seiner Erstarrung, drehte sich um und warf den Kodex so weit von sich, wie er konnte. Dann rannte er auf das Handy zu.
Im selben Augenblick machte auch der Mann einen Satz nach vorn. Beide sprinteten sie nach ihrer Beute, ohne einander aus den Augen zu lassen, wichen einander aus, wobei Reilly sich mit all seiner Willenskraft beherrschen musste, um sich nicht auf den anderen Mann zu stürzen – das Risiko durfte er nicht eingehen. Wenn es ihm nicht gelänge, seinen Gegner zu überwältigen, wäre das für Tess der sichere Tod. Also rannte er weiter und erreichte gleich darauf den Rasenstreifen. Er entdeckte das Handy, hob es auf und starrte es ungläubig an. Sein Puls raste – er hatte keine Explosion aus der Stadt unten gehört, aber bedeutete das auch wirklich, dass keine ausgelöst worden war? Er konnte es nur hoffen. Er fuhr herum –
Der Iraner war verschwunden.
Das Buch ebenfalls.
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Kapitel Acht
Reilly handelte zielstrebig wie ein Roboter, als steuere er seinen Körper nicht mehr selbst. Er hatte jetzt eine einzige Aufgabe zu erfüllen, und dabei durfte er sich durch nichts aufhalten lassen.
Er stürmte den Hang hinauf und rannte quer über das Hotelgelände, ohne die vornehmen Gäste zu beachten, die vor seiner abgerissenen Erscheinung erschrocken zurückwichen. Vor dem Eingang des
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