Dohlenflug
von
Jacobi, so ungern am Handgelenk trug.
Solange die Flüchtenden
hinter sich die Umrisse der Gewerkschaftsgebäude und des Landhauses
sahen, gelang es ihnen noch einigermaßen, die angepeilte Richtung
beizubehalten, dann aber blieb das Hanggefälle am Fuß des
Kolmkar-Massivs ihr einziger diffuser Anhaltspunkt.
Nicht nur Hohenauer wusste,
wie leicht sich sogar einheimische Alpinisten bei winterlichen Bedingungen
im Hochgebirge verirren konnten. Schweigend schritten die Frauen voran.
Irgendwann tauchten aus dem
weißen Flockenvorhang Nadelhölzer vor ihnen auf, Fichten, Lärchen,
vereinzelt auch Zirben, die für die auf gut Glück
Dahinstapfenden zu richtungsweisenden Leuchttürmen wurden. Inzwischen
wurde der Abstand zwischen den Rastpausen immer kleiner und die Gefahr,
dass sich der Verfolger bereits an ihre Fersen geheftet hatte, immer größer.
Umso erleichterter waren die
Kotek und Hohenauer, als die Dreiundachtzigjährige nach einem kräfteraubenden
Anstieg durch unwegsame Latschenfelder plötzlich sagte: »Dort
unten ist die Pokorny-Jagdhütte. Links und noch ein Stück tiefer
unten davon befindet sich der Eingang zum Imhof-Stollen, direkt am
Talboden neben der Naßfelder Ache.«
»Ganz unten also? Und
warum haben wir uns dann bitte hier herauf gequält?«, fragte
Kotek grantig.
»Um uns nicht zu
verirren, und damit uns Wegener nicht gleich auf die Schliche kommt. Er
soll glauben, dass wir hinauf zur Bockartsee-Hütte wollen. Unten am
Almboden hätte er uns mit seinen Tourenskiern ja im Nullkommajosef
eingeholt.«
»Und was ist, wenn
Werner sich früher als angenommen hat wecken lassen und unser Ziel
erraten hat?«, gab Hohenauer zu bedenken. »Dann könnte er
schon unten am Stolleneingang auf uns warten.«
Häuslschmied wiegte
zweifelnd den Kopf hin und her. »Wegener ist zwar ein Zocker und hält
die Stollen sogar für das Goldversteck, trotzdem bleibt ihm nichts
anderes übrig, als unsrer Spur zu folgen. Frau Kotek meinte, unsre
Fluchtmöglichkeiten seien begrenzt, aber die Ansicht teile ich nicht.«
Sie keuchte und rang angestrengt nach Atem. Erst nach einiger Zeit konnte
sie weitersprechen. »Wir hätten uns in mindestens fünf
Richtungen absetzen und uns zu einer der vielen Naßfelder Hütten
Zutritt verschaffen können, ja, wir hätten uns sogar trennen können.
Frau Kotek hätte mit den Schneeschuhen in Richtung Böckstein
laufen können, während wir beide in eine Hütte eingebrochen
wären.« Wieder musste sie Atem holen. »Vielleicht wäre
die eine oder andere sogar noch bewohnt gewesen, und wir hätten die
Chance bekommen, zu telefonieren oder einen Funkspruch abzusetzen. O nein,
Wegener setzt nicht alles auf eine Karte und wartet wie eine dumme Katze
vor ein und demselben Mauseloch. Schließlich ist er ein
strategischer Spieler.«
»Ihr Wort in Gottes Ohr«,
sagte Kotek. »Also, gehen wir.«
Bergab kamen die drei Frauen
trotz der winterlichen Verhältnisse flott voran, und schon Minuten später
näherten sie sich entlang der Naßfelder Ache dem
Stolleneingang.
Sie waren nur mehr einige
Meter vom Tor entfernt – Häuslschmied hatte sich bereits ihrer
Schneeschuhe entledigt –, als sie im Schneegestöber hinter sich
einen Skiläufer hörten. Das typische Knirschen des
Stockeinsatzes im Tiefschnee war eindeutig, es erfolgte in schnellem Takt
und näherte sich rasch.
Zum Glück hatte Amanda Häuslschmied
den Inhalt ihrer Handtasche, also auch ihren Schlüsselbund, schon im
Landhaus Melanie Kotek übergeben, die als Trägerin des einzigen
Rucksacks für das Gepäck zuständig war. Die Beamtin
sprintete nun zum Tor, während sie den Schlüsselbund aus einer
Anoraktasche zerrte.
»Schnell, er kommt«,
flüsterte sie hektisch. »Wir müssen von drinnen zugesperrt
haben, ehe er am Tor ist. Welcher Schlüssel?« Die Frage war an
Häuslschmied gerichtet.
»Der mit der roten
Markierung.«
Ein Schloss mit einem dazu
passenden dosischen Schlüssel aufzusperren ist unter normalen Umständen
die einfachste Sache der Welt. Wenn aber das Leben davon abhängt,
wird oftmals der primitivste Handgriff zu einer komplizierten Puzzelei.
»Die Tür klemmt
ein bisserl«, warnte Häuslschmied und starrte nervös
hinter sich ins Schneegestöber. »Sie müssen sie mit
Nachdruck aufreißen.«
Endlich drehte sich der Schlüssel,
Kotek riss wie ein Berserker an der Klinke, die
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