Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dohlenflug

Dohlenflug

Titel: Dohlenflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
Vom Netzwerk:
von
     Jacobi, so ungern am Handgelenk trug.
    Solange die Flüchtenden
     hinter sich die Umrisse der Gewerkschaftsgebäude und des Landhauses
     sahen, gelang es ihnen noch einigermaßen, die angepeilte Richtung
     beizubehalten, dann aber blieb das Hanggefälle am Fuß des
     Kolmkar-Massivs ihr einziger diffuser Anhaltspunkt.
    Nicht nur Hohenauer wusste,
     wie leicht sich sogar einheimische Alpinisten bei winterlichen Bedingungen
     im Hochgebirge verirren konnten. Schweigend schritten die Frauen voran.
    Irgendwann tauchten aus dem
     weißen Flockenvorhang Nadelhölzer vor ihnen auf, Fichten, Lärchen,
     vereinzelt auch Zirben, die für die auf gut Glück
     Dahinstapfenden zu richtungsweisenden Leuchttürmen wurden. Inzwischen
     wurde der Abstand zwischen den Rastpausen immer kleiner und die Gefahr,
     dass sich der Verfolger bereits an ihre Fersen geheftet hatte, immer größer.
    Umso erleichterter waren die
     Kotek und Hohenauer, als die Dreiundachtzigjährige nach einem kräfteraubenden
     Anstieg durch unwegsame Latschenfelder plötzlich sagte: »Dort
     unten ist die Pokorny-Jagdhütte. Links und noch ein Stück tiefer
     unten davon befindet sich der Eingang zum Imhof-Stollen, direkt am
     Talboden neben der Naßfelder Ache.«
    »Ganz unten also? Und
     warum haben wir uns dann bitte hier herauf gequält?«, fragte
     Kotek grantig.
    »Um uns nicht zu
     verirren, und damit uns Wegener nicht gleich auf die Schliche kommt. Er
     soll glauben, dass wir hinauf zur Bockartsee-Hütte wollen. Unten am
     Almboden hätte er uns mit seinen Tourenskiern ja im Nullkommajosef
     eingeholt.«
    »Und was ist, wenn
     Werner sich früher als angenommen hat wecken lassen und unser Ziel
     erraten hat?«, gab Hohenauer zu bedenken. »Dann könnte er
     schon unten am Stolleneingang auf uns warten.«
    Häuslschmied wiegte
     zweifelnd den Kopf hin und her. »Wegener ist zwar ein Zocker und hält
     die Stollen sogar für das Goldversteck, trotzdem bleibt ihm nichts
     anderes übrig, als unsrer Spur zu folgen. Frau Kotek meinte, unsre
     Fluchtmöglichkeiten seien begrenzt, aber die Ansicht teile ich nicht.«
     Sie keuchte und rang angestrengt nach Atem. Erst nach einiger Zeit konnte
     sie weitersprechen. »Wir hätten uns in mindestens fünf
     Richtungen absetzen und uns zu einer der vielen Naßfelder Hütten
     Zutritt verschaffen können, ja, wir hätten uns sogar trennen können.
     Frau Kotek hätte mit den Schneeschuhen in Richtung Böckstein
     laufen können, während wir beide in eine Hütte eingebrochen
     wären.« Wieder musste sie Atem holen. »Vielleicht wäre
     die eine oder andere sogar noch bewohnt gewesen, und wir hätten die
     Chance bekommen, zu telefonieren oder einen Funkspruch abzusetzen. O nein,
     Wegener setzt nicht alles auf eine Karte und wartet wie eine dumme Katze
     vor ein und demselben Mauseloch. Schließlich ist er ein
     strategischer Spieler.«
    »Ihr Wort in Gottes Ohr«,
     sagte Kotek. »Also, gehen wir.«
    Bergab kamen die drei Frauen
     trotz der winterlichen Verhältnisse flott voran, und schon Minuten später
     näherten sie sich entlang der Naßfelder Ache dem
     Stolleneingang.
    Sie waren nur mehr einige
     Meter vom Tor entfernt – Häuslschmied hatte sich bereits ihrer
     Schneeschuhe entledigt –, als sie im Schneegestöber hinter sich
     einen Skiläufer hörten. Das typische Knirschen des
     Stockeinsatzes im Tiefschnee war eindeutig, es erfolgte in schnellem Takt
     und näherte sich rasch.
    Zum Glück hatte Amanda Häuslschmied
     den Inhalt ihrer Handtasche, also auch ihren Schlüsselbund, schon im
     Landhaus Melanie Kotek übergeben, die als Trägerin des einzigen
     Rucksacks für das Gepäck zuständig war. Die Beamtin
     sprintete nun zum Tor, während sie den Schlüsselbund aus einer
     Anoraktasche zerrte.
    »Schnell, er kommt«,
     flüsterte sie hektisch. »Wir müssen von drinnen zugesperrt
     haben, ehe er am Tor ist. Welcher Schlüssel?« Die Frage war an
     Häuslschmied gerichtet.
    »Der mit der roten
     Markierung.«
    Ein Schloss mit einem dazu
     passenden dosischen Schlüssel aufzusperren ist unter normalen Umständen
     die einfachste Sache der Welt. Wenn aber das Leben davon abhängt,
     wird oftmals der primitivste Handgriff zu einer komplizierten Puzzelei.
    »Die Tür klemmt
     ein bisserl«, warnte Häuslschmied und starrte nervös
     hinter sich ins Schneegestöber. »Sie müssen sie mit
     Nachdruck aufreißen.«
    Endlich drehte sich der Schlüssel,
     Kotek riss wie ein Berserker an der Klinke, die

Weitere Kostenlose Bücher