Dohlenflug
vergleichsweise
breit war?
»Und wozu soll das
jetzt gut gewesen sein?«, fragte Kotek erschöpft.
Häuslschmied ließ
ein Bein Hohenauers los, um die Stablampe besser handhaben zu können.
»Sehen Sie die Blutstropfen? Unsre Spur führt nun bis zur
Gabelung und dann in den linken Gang hinein.«
Die Kriminalbeamtin wurmte es
ein bisschen, nicht selbst auf diesen Gedanken gekommen zu sein, aber
nicht nur das: Die Greisin, der von ihren Mitmenschen Demenz nachgesagt
worden war, schien während der letzten Minuten das Kommando in ihrer
Gruppe übernommen zu haben.
»Und jetzt helfen Sie
mir, das Versatzmaterial hier beiseitezuräumen«, ordnete sie
an, nachdem sie Tina Hohenauer auf den Boden gesetzt und mit dem Rücken
gegen die Stollenwand gelehnt hatten.
Kotek glaubte, einmal gelesen
zu haben, dass man unter Versatzmaterial taubes Gestein verstand. Zu allen
Zeiten hatten Bergknappen es aus Gründen der Bequemlichkeit in
aufgegebenen Hohlräumen deponiert, obwohl die verbreitete Unsitte
– ebenfalls zu allen Zeiten – streng verboten gewesen war.
Und plötzlich begriff
die Ermittlerin. An ihrem Standort, etwa zwanzig Meter von der Weggabelung
entfernt, befand sich linker Hand ein solcher Hohlraum. Er war bis zu
seiner Scheitelhöhe von etwa einem Meter fünfzig mit Steinen
zugeschüttet. Erst bei genauerem Hinsehen fiel auf, dass es sich
nicht nur um abgelegtes Geröll handelte, sondern um sorgfältig
aufeinandergeschichtete quaderartige Brocken, die exakt zusammenpassten.
Was hier eventuell einen Gang verbarg, war keine Aufschüttung,
sondern eine Art Trockenmauer.
Die exponierte Lage innerhalb
des Stollengewirrs würde sich bestens für ein Versteck eignen,
schoss es Kotek durch den Kopf. Selbst bei einer allfälligen
touristischen Nutzung des aufgelassenen Bergwerks oder einer
Wiederaufnahme des Erzabbaus auf anderen Horizonten wäre die Gefahr
einer Entdeckung minimal gewesen.
Die Dreiundachtzigjährige
griff in eine nischenartige Felsspalte neben dem Seitenstollen und entnahm
ihr einen Schürhaken.
»Sie kennen sich hier
aber gut aus«, stellte Kotek fest.
Häuslschmied bedeutete
ihr, den Taschenlampenstrahl woandershin zu richten. »Wir entfernen
die obersten sechs«, erklärte sie und steckte den Schürhaken
in eine Fuge zwischen den Quadern. Dann drehte sie den Schaft um annähernd
neunzig Grad und zog mit dem Hakenfuß den ersten Stein heraus.
»Ich werde durch das
Loch kriechen, wenn es groß genug ist. Auch Tina muss da hinein. Und
ja, ich weiß, dass es schwierig wird«, schnitt sie den zu
erwartenden Einwand ab. »Sie werden mir dann die Steine durchreichen
und anschließend selbst nachkommen.«
»Ich verstehe. Und zum
Schluss setzen wir von drinnen die Steine wieder an ihren Platz.«
»Kluges Mädchen«,
lobte Häuslschmied. Kotek nahm es hin, von der Alten gefoppt zu
werden, dann fasste sie mit an. Ihre Nerven waren zum Zerreißen
gespannt, immer wieder blickte sie über ihre Schulter in die
Richtung, aus der sie gekommen waren.
»So schnell wird er
hier nicht auftauchen«, meinte Häuslschmied. »Anfangs hat
er zwar rasch aufgeholt, aber ab der Kreuzung Geisslergänge hat er es
nicht mehr so leicht.«
Kotek nickte. »Ja, von
da ab wird er es langsamer angehen lassen, aber wenn er den Blutstropfen
folgt, wird er uns sicher finden, wenn wir nicht schnell genug sind.«
Häuslschmied zuckte mit
den Achseln.
Nach einer Minute war die
Öffnung groß genug, und die Greisin kroch hindurch, als wäre
sie an Turnerei solcher Art gewohnt. Noch einmal schien ihnen die
Schicksalsgöttin wohlgesonnen zu sein: Hohenauer kam, weil Kotek ihr
brutal den Finger auf die Einschusswunde drückte, wieder so lange zu
sich, um sich auf die Beine helfen und durch das Loch bugsieren zu lassen.
Die Aktion ging nicht ohne Ächzen und Stöhnen vonstatten und
kostete Zeit. Zu viel Zeit, fürchtete Kotek.
Sie leuchtete in das Loch
hinein. Der taube Gang war nur etwa zehn Meter weit begehbar und dahinter
bis zum Scheitel mit Geröll gefüllt. Diesmal allerdings mit
echtem Geröll und keiner Trockenmauer, die als Versatzmaterial
getarnt war.
Die Ermittlerin ließ
den Lichtkegel an den anderen Frauen vorbei in dem engen Raum hin und her
huschen – und glaubte plötzlich, Skelette gesehen zu haben. Ja,
doch, da waren menschliche Skelette, in vermoderte Anzüge oder
Overalls gehüllt,
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