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Dohlenflug

Dohlenflug

Titel: Dohlenflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
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vergleichsweise
     breit war?
    »Und wozu soll das
     jetzt gut gewesen sein?«, fragte Kotek erschöpft.
    Häuslschmied ließ
     ein Bein Hohenauers los, um die Stablampe besser handhaben zu können.
     »Sehen Sie die Blutstropfen? Unsre Spur führt nun bis zur
     Gabelung und dann in den linken Gang hinein.«
    Die Kriminalbeamtin wurmte es
     ein bisschen, nicht selbst auf diesen Gedanken gekommen zu sein, aber
     nicht nur das: Die Greisin, der von ihren Mitmenschen Demenz nachgesagt
     worden war, schien während der letzten Minuten das Kommando in ihrer
     Gruppe übernommen zu haben.
    »Und jetzt helfen Sie
     mir, das Versatzmaterial hier beiseitezuräumen«, ordnete sie
     an, nachdem sie Tina Hohenauer auf den Boden gesetzt und mit dem Rücken
     gegen die Stollenwand gelehnt hatten.
    Kotek glaubte, einmal gelesen
     zu haben, dass man unter Versatzmaterial taubes Gestein verstand. Zu allen
     Zeiten hatten Bergknappen es aus Gründen der Bequemlichkeit in
     aufgegebenen Hohlräumen deponiert, obwohl die verbreitete Unsitte
     – ebenfalls zu allen Zeiten – streng verboten gewesen war.
    Und plötzlich begriff
     die Ermittlerin. An ihrem Standort, etwa zwanzig Meter von der Weggabelung
     entfernt, befand sich linker Hand ein solcher Hohlraum. Er war bis zu
     seiner Scheitelhöhe von etwa einem Meter fünfzig mit Steinen
     zugeschüttet. Erst bei genauerem Hinsehen fiel auf, dass es sich
     nicht nur um abgelegtes Geröll handelte, sondern um sorgfältig
     aufeinandergeschichtete quaderartige Brocken, die exakt zusammenpassten.
     Was hier eventuell einen Gang verbarg, war keine Aufschüttung,
     sondern eine Art Trockenmauer.
    Die exponierte Lage innerhalb
     des Stollengewirrs würde sich bestens für ein Versteck eignen,
     schoss es Kotek durch den Kopf. Selbst bei einer allfälligen
     touristischen Nutzung des aufgelassenen Bergwerks oder einer
     Wiederaufnahme des Erzabbaus auf anderen Horizonten wäre die Gefahr
     einer Entdeckung minimal gewesen.
    Die Dreiundachtzigjährige
     griff in eine nischenartige Felsspalte neben dem Seitenstollen und entnahm
     ihr einen Schürhaken.
    »Sie kennen sich hier
     aber gut aus«, stellte Kotek fest.
    Häuslschmied bedeutete
     ihr, den Taschenlampenstrahl woandershin zu richten. »Wir entfernen
     die obersten sechs«, erklärte sie und steckte den Schürhaken
     in eine Fuge zwischen den Quadern. Dann drehte sie den Schaft um annähernd
     neunzig Grad und zog mit dem Hakenfuß den ersten Stein heraus.
    »Ich werde durch das
     Loch kriechen, wenn es groß genug ist. Auch Tina muss da hinein. Und
     ja, ich weiß, dass es schwierig wird«, schnitt sie den zu
     erwartenden Einwand ab. »Sie werden mir dann die Steine durchreichen
     und anschließend selbst nachkommen.«
    »Ich verstehe. Und zum
     Schluss setzen wir von drinnen die Steine wieder an ihren Platz.«
    »Kluges Mädchen«,
     lobte Häuslschmied. Kotek nahm es hin, von der Alten gefoppt zu
     werden, dann fasste sie mit an. Ihre Nerven waren zum Zerreißen
     gespannt, immer wieder blickte sie über ihre Schulter in die
     Richtung, aus der sie gekommen waren.
    »So schnell wird er
     hier nicht auftauchen«, meinte Häuslschmied. »Anfangs hat
     er zwar rasch aufgeholt, aber ab der Kreuzung Geisslergänge hat er es
     nicht mehr so leicht.«
    Kotek nickte. »Ja, von
     da ab wird er es langsamer angehen lassen, aber wenn er den Blutstropfen
     folgt, wird er uns sicher finden, wenn wir nicht schnell genug sind.«
    Häuslschmied zuckte mit
     den Achseln.
    Nach einer Minute war die
     Öffnung groß genug, und die Greisin kroch hindurch, als wäre
     sie an Turnerei solcher Art gewohnt. Noch einmal schien ihnen die
     Schicksalsgöttin wohlgesonnen zu sein: Hohenauer kam, weil Kotek ihr
     brutal den Finger auf die Einschusswunde drückte, wieder so lange zu
     sich, um sich auf die Beine helfen und durch das Loch bugsieren zu lassen.
     Die Aktion ging nicht ohne Ächzen und Stöhnen vonstatten und
     kostete Zeit. Zu viel Zeit, fürchtete Kotek.
    Sie leuchtete in das Loch
     hinein. Der taube Gang war nur etwa zehn Meter weit begehbar und dahinter
     bis zum Scheitel mit Geröll gefüllt. Diesmal allerdings mit
     echtem Geröll und keiner Trockenmauer, die als Versatzmaterial
     getarnt war.
    Die Ermittlerin ließ
     den Lichtkegel an den anderen Frauen vorbei in dem engen Raum hin und her
     huschen – und glaubte plötzlich, Skelette gesehen zu haben. Ja,
     doch, da waren menschliche Skelette, in vermoderte Anzüge oder
     Overalls gehüllt,

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