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Dohlenflug

Dohlenflug

Titel: Dohlenflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
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Tür flog auf, und
     eiskalte Luft strömte ihnen entgegen.
    In derselben Sekunde war das
     Geräusch vom Skistockeinsatz hinter ihnen verstummt.
    »Wahrscheinlich
     beobachtet er uns und will schießen!«, rief Hohenauer und
     duckte sich instinktiv. »Rein in den Stollen, Mandi-Tant!«
    Zwei Schüsse knallten.
     Die Gendarmerieschülerin schubste die Greisin durchs Tor, einen
     Wimpernschlag später warf Kotek die Tür ins Schloss und sperrte
     ab. Keine Sekunde zu früh. Schon wurde von draußen an der stählernen
     Klinke gerüttelt.
    »Wir müssen
     weiter, los«, flüsterte Kotek und ließ eine Taschenlampe
     aufflammen. »Gehen Sie, Frau Häuslschmied, so gehen Sie doch.
     Wegener hat das Schloss in fünf Minuten geöffnet. Ich hab den
     Schlüssel stecken lassen, aber auch das wird ihn nicht viel länger
     hinhalten.«
    Am Stollenboden verliefen
     schmale Grubengleise, und weiter vorn war ein abgestellter Grubenhund zu
     sehen.
    »Vorläufig geht es
     ohnehin nur geradeaus, etwa eineinhalb Kilometer«, erklärte die
     Alte, die bereits voranschritt. »Dann kreuzt der Imhof-Stollen zunächst
     die Zubringer zum Geisslergang, später den Dyonis- und schließlich
     den Kuppelwiesergang. Vom Geisslergang gehen bald nach der Kreuzung zu
     beiden Seiten einige Schächte und Fahrten weg auf andere Horizonte.
     Wenn wir es bis dorthin schaffen, haben wir schon bessere Karten. Wer sich
     nämlich nicht verdammt gut auskennt oder wenigstens anhand von Plänen
     orientieren kann, wird vom Schall garantiert in die Irre geführt,
     denn das Kolmkar-Massiv ist durchlöchert wie der sprichwörtliche
     Schweizer Käse.«
    »Aber mit diesem Waggon
     kann er uns nicht auf den Pelz rücken, oder?«, fragte Kotek, während
     sie das Gefährt passierten.
    »Nein, das ist keine
     Draisine, sondern ein ausrangierter Grubenhund, der hier nur zu
     Demonstrationszwecken steht.«
    »Aha.« Kotek
     holte eben die zweite Stablampe aus ihrem Rucksack und wollte sie der jüngeren
     Kollegin reichen. »Hier, die andere Lampe.« Sie tippte ihr
     damit leicht auf die rechte Schulter.
    Hohenauer stieß einen
     spitzen Schrei aus. Wie angewurzelt blieben ihre Begleiterinnen stehen,
     Kotek leuchtete das Mädchen an und sah in sein schmerzverzerrtes
     Gesicht. Dann trat sie einen Schritt zurück und bemerkte das Loch in
     der Rückseite von Hohenauers Anorak.
    »Verdammt! Er hat Sie
     getroffen?« Es war eigentlich keine Frage.
    »Ist nicht so schlimm,
     nur ein Steckschuss in der Schulter«, versuchte Hohenauer die
     Katastrophe herunterzuspielen.
    Kotek öffnete sofort den
     Rucksack und entnahm ihm Verbandszeug. »Wird ziemlich wehtun, aber
     ich muss die Wunde wenigstens notdürftig desinfizieren und die
     Blutung stillen. Später machen wir dann einen ordentlichen
     Druckverband.« Sie wollte Hohenauer den Anorak ausziehen, aber diese
     wehrte ab.
    »Nein, wir müssen
     jetzt weiter, die Desinfektion und der Verband haben bis später Zeit.
     Sie hören doch, dass er schon dabei ist, das Türschloss zu
     knacken.«
    Tatsächlich hörten
     sie, wie sich jemand am Tor zu schaffen machte, obwohl sie bereits etliche
     Meter zwischen sich und den Eingang gebracht hatten. Wider besseres Wissen
     fügte sich Kotek dem Wunsch der Verwundeten.
    »Lassen Sie mich
     wenigstens die Mullbinde mit Jodtinktur auf Ihre Schulter legen«,
     sagte sie, wobei sie sich ihrer rapide sinkenden Chancen, Wegener zu
     entkommen, nur allzu bewusst war. Hohenauer presste die Lippen zusammen
     und verkniff sich tapfer jeden Schmerzenslaut, als ihr Kotek den
     Verbandsmull auf die Einschusswunde legte und ihn mit Leukoplast fixierte.
    »Tja, damit können
     wir uns wohl abschminken, ihn für längere Zeit auf Distanz zu
     halten«, sagte Häuslschmied. »Also müssen wir eine
     andere Möglichkeit ins Auge fassen.«
    Wieder machten sie sich auf
     den Weg: die Greisin mit der zweiten Stablampe eilig voraus, dann ihre Großnichte,
     die sich mit großer Selbstbeherrschung auf den Beinen hielt, und
     hinter ihr Kotek, die immer darauf gefasst war, die vor ihr
     dahinstolpernde Hohenauer auffangen zu müssen.

 
    43
    NACH ETWAS MEHR als einem
     halben Kilometer spürten sie den stärker werdenden Luftzug.
     Wegener hatte die Tür also geöffnet.
    Kotek schalt sich eine
     Idiotin. Was hatte sie denn erwartet? Schließlich war der Mann seit
     Jahren Kriminaltechniker und hatte alle Kniffe drauf. Ein simples
     dosisches Schloss konnte er im Schlaf knacken. Liebend gern hätte

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